Sicherheitskonferenz:Wenn internationale Politiker auf Münchner Bürger treffen
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Während der Sicherheitskonferenz sind die globalen Konflikte zu Gast in München. Wenn die Besucher der Siko ihre Schutzzone verlassen, stoßen sie nicht nur auf Protest, sondern auch auf großes Interesse.
Von Julian Hans, München
Und plötzlich steht da ein Engel auf dem Stachus. Mit flauschigen Flügeln, plüschigem Heiligenschein und strahlenden Augen. Als wäre er vom Himmel gefallen, mitten in diese Stadt, in der an diesem Wochenende so viel die Rede ist von drohenden Kriegen, von einem neuen Rüstungswettlauf und Atomraketen. Die Frau im Engelskostüm will ihren Namen nicht sagen, aber sie sagt, dass sie sich der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz angeschlossen hat, weil es jetzt reicht, weil jetzt Schluss sein muss mit diesem Karneval im Bayerischen Hof, und dass man die Wahrheit darüber ja nachlesen könne im Internet: bei Sputnik und RT, bei Ken FM, Rubikon und Klagemauer TV. Ein Friedensengel, beflügelt von russischen Staatsmedien, Verschwörungstheoretikern und antisemitischen Blogs.
Immer wieder im Februar wird München für drei Tage zum Zentrum der internationalen Diplomatie. Immer wieder protestieren Tausende gegen die Sicherheitskonferenz, die sie eine Nato-Propaganda-Konferenz nennen. Die Rituale gehören schon fast so zu München wie der Christkindlmarkt und das Oktoberfest. Aber beide Welten bleiben seltsam separiert: Hinter den Absperrgittern die Politiker, Generäle, Denkfabrikarbeiter. Draußen die Bürger. Sie müssen Absperrungen umfahren und an Kreuzungen warten, bis Staatskarossen samt Eskorte vorbeigezogen sind. Und so wäre es vielen wohl lieber, die internationale Politik aus dieser schönen Stadt rauszuhalten - ob aus ideologischen Gründen oder aus praktischen.
Einen Bezug zwischen dem Globalem und dem Lokalem stellen nur wenige her. Zum Beispiel Lydia, 69 Jahre alt, Sozialpädagogin. Ihren vollen Namen will sie nicht nennen. Mit einer Gruppe von den Verdi-Senioren steht sie unter dem Karlstor. Sie halten Schilder hoch mit Namen von Rüstungsfirmen, auch solche mit Sitz in München: Siemens, der Triebwerkehersteller MTU. "Fluchtursachen haben einen Namen", steht darüber. Lydia war schon in den 80er Jahren auf den großen Demonstrationen gegen die Nachrüstung in Bonn. "Wir müssten sehr viel mehr sein", klagt sie, jetzt, wo Trump den INF-Vertrag gekündigt hat und die Stationierung neuer Atomraketen in Europa drohe.
Im Prinzip sei es ja gut, dass die da miteinander redeten im Bayerischen Hof, räumt sie ein. Die Vertreter der USA und Russlands zum Beispiel. Besser, sie reden, als sie schießen. Aber auf der Konferenz wären eben nicht nur Diplomaten, sondern auch Manager von Rüstungsfirmen: "Die knüpfen jetzt Kontakte und verkaufen morgen ihre Waffen an Saudi Arabien oder China". Man sollte diese Firmen und die Arbeitsplätze erhalten in München, finden die Verdi-Leute. Aber sie sollten eben etwas anderes herstellen.
Auf der ganzen Welt haben Menschen zuerst ein Bild von Bayern im Kopf, wenn sie an Deutschland denken. Münchens Universitäten sind global vernetzt, viele Hochtechnologie-Unternehmen in der Region sind Weltmarktführer. Aber wenn mit der Sicherheitskonferenz nicht nur Touristen, sondern auch die globalen Konflikte für drei Tage in München zu Gast sind, dann fremdelt die Stadt.
Zur gleichen Zeit, als auf dem Marienplatz die Demonstration der Siko-Gegner zu Ende geht, kommt es in der Lindwurmstraße zu einer Berührung zwischen der großen Politik und den Münchner Bürgern, als die neunjährige Chiara spontan die Frau des amerikanischen Vizepräsidenten umarmt. Karen Pence war Lehrerin, bevor sie Second Lady of the United States wurde. Sie malt gern Aquarelle und ist eine große Freundin von Kunsttherapie. Jetzt sitzt sie in ihrem grauen Businesskleid auf einem Kinderstuhl in der onkologischen Station des Haunerschen Kinderspitals. Ein halbes Dutzend Männer vom Secret Service wartet im Flur, blaue Anzüge, Anstecknadeln am Revers, Knopf im Ohr. Das US-Konsulat hat diesen Besuch für die Gattin des Vizepräsidenten organisiert.
"Malst du gern?", fragt Frau Pence die kleine Chiara.
"Oh ja!", ruft Chiara und reißt begeistert die Augen auf, als wäre das hier, im Kunstraum des Spitals, ein ganz überraschender Vorschlag.
"Ich auch. Ich male gern mit Wasserfarben", sagt Mrs. Pence. "Was ist deine Lieblingsfarbe?"
"Pink", sagt Chiara.
"Meine auch!", ruft Mrs. Pence. Und dann nimmt sie doch nicht die Wasserfarben, sondern Wachskreiden und malt ein Kaninchen in so zarten Rosatönen, dass es auf dem weißen Papier kaum zu sehen ist. Dabei erzählt sie von ihrem Haus in Washington, ihrer Katze Hazel, ihrem Hund Harley und ihrem Mann Mike. Die kleine Krebspatientin tunkt derweil ihren Pinsel tief in die Farbtöpfe und malt ein dickes Herz in leuchtenden Regenbogenfarben. Als sie fertig ist, ist Frau Pence schon weiter gezogen zu einem Rundgang durch die Station, und bei dem Versuch, sie einzuholen, um ihr das Bild zu schenken, reißt Chiara fast ihren Infusionsständer um. Zum Abschied schenkt Mrs. Pence dem Krankenhaus dann Buntstifte und ein Ausmalbuch, das sie selbst entworfen hat. Es handelt von der Familie Pence, ihrer Katze Hazel, dem Hund Harley und ihren Abenteuern in Washington.
Großes Interesse der Münchner an internationaler Politik
Etwas andere Geschichten aus der Hauptstadt der USA gibt es am Abend im Literaturhaus. Claus Kleber spricht mit Madeleine Albright. Es geht um ihr Buch: "Faschismus. Eine Warnung". Es geht um ihre eigene Geschichte - zwei Mal musste ihre Familie aus Prag fliehen, erst vor den Nazis, später vor den Kommunisten. Sie vertrat die USA bei den Vereinten Nationen und wurde dann Bill Clintons Außenministerin. Und es geht, natürlich, um Trump. "Ich nennen ihn nicht einen Faschisten", sagt die 81-Jährige, "aber er bedient sich faschistischer Methoden".
Der Saal mit mehr als 300 Plätzen ist überfüllt, die Organisatoren müssen enttäuschte Besucher wieder nach Hause schicken. Sie hätten drei Mal so viele Karten vergeben können, wenn sie einen größeren Raum gehabt hätten. Als am Freitagabend der ehemalige britische Premier Tony Blair an der TU über den Brexit spricht, ist es das gleiche Bild. 1000 Menschen passen ins Audimax, die Nachfrage war doppelt so groß. Da ist es, das Interesse der Münchner an der internationalen Politik. Die Sorge um Europa und um die Zukunft der internationalen Beziehungen, wenn Populisten die Bühne für sich beanspruchen, treibt nicht nur die Profis im Bayerischen Hof um.
Es sei schade, dass es nicht mehr solche Berührungspunkte zwischen der Stadt und der Sicherheitskonferenz gebe, sagt Alexandra Schenke, eine Amerikanistikstudentin im Publikum. Als die Gäste wieder auf dem Heimweg sind, durch die Salvatorstraße, vorbei an den Polizeiautos und den Absperrungen um den Promenadenplatz, da sagt Marion Bösker vom Literaturhaus, privat frage sie sich das schon, ob das denn sein müsse: So eine Großveranstaltung mitten in der Stadt? Die Absperrungen, die Umwege. Dauernd muss man erklären, wo man hin will. Aber für das Literaturhaus sei es ein großer Gewinn. Berühmte Persönlichkeiten wie Madeleine Albright treffen sich direkt nebenan und kommen für eine Veranstaltung vorbei. Und damit hat sie ihre Frage ja eigentlich schon selbst beantwortet.