Süddeutsche Zeitung

Sicherheitsdebatte:Gibt es am Hauptbahnhof immer mehr Dealer und Prostituierte?

Lesezeit: 2 min

Von Martin Bernstein

Schwere Vorwürfe gegen die Polizei hat der Münchner CSU-Landtagsabgeordnete Andreas Lorenz erhoben. Sie tut seiner Meinung nach zu wenig im Umfeld des Hauptbahnhofs. Damit es nicht zu einer kriminellen "Sogwirkung" durch offene Prostitution, Drogenhandel, Alkoholexzesse und Bettelei komme, müsse die Polizei aktiver werden - und dafür halt mal die eine oder andere Verkehrskontrolle sein lassen, fordert Lorenz.

Offiziell gibt man sich im Polizeipräsidium zurückhaltend. Doch angesichts der Vorwürfe und der von Lorenz vorgeschlagenen Lösung schütteln viele Polizisten den Kopf. "Befremdlich" findet auch die Rathaus-SPD den Vorstoß des Giesinger Abgeordneten. "Die Münchner Polizei macht sehr gute Arbeit", lobt sie in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung. "Trotzdem lohnt sich mehr Personal, damit die Präsenz vor Ort noch verstärkt werden kann." Die SPD wird in dieser Woche mit der Polizei sowie dem Kreisverwaltungsreferat zusammenkommen. Einen Runden Tisch Hauptbahnhof, an dem Polizei, Bundespolizei, KVR und Bahn ihre Aktivitäten koordinieren, gibt es freilich schon lange. Zwei Videokameras überwachen den Bahnhof, zwei weitere sollen in Kürze für das direkte Umfeld installiert werden. Außerdem gibt es gemeinsame Streifen von Landes- und Bundespolizei.

Rund um den Hauptbahnhof hat sich seit Anfang 2015 tatsächlich eine neue Drogenszene etabliert. Kein Geheimnis. In dieser Zeit haben die Polizisten des Drogendezernats, der Einsatzhundertschaft und der Inspektionen im Bahnhofsviertel gut 500 Dealer überführt. Das Ziel der Drogenfahnder: den Dealern das Leben so schwer und das Geschäft damit so unlukrativ wie möglich zu machen.

2015 führte die Polizei an Rauschgiftbrennpunkten in der Stadt 42 Schwerpunkteinsätze durch, kontrollierte 2546 Personen und sprach 874 Platzverweise aus. 72 Menschen hat die Stadt den Aufenthalt im Bahnhofsumfeld wegen Drogen, Alkohol oder Gewalttaten verboten. "Einen permanent hohen Kontroll- und Überprüfungsdruck" entwickelt die Polizei nach eigenen Angaben auch gegen die illegale Prostitution. Die Zahl der Fälle nahm 2015 von 44 auf 36 ab - münchenweit.

Dagegen gab es 2015 eine Rekordzahl an Rauschgiftdelikten. Daraus jedoch auf Untätigkeit der Polizei zu schließen, wie Lorenz es tut, verkehrt die Situation in ihr Gegenteil: Weder Dealer noch Junkies, weder Freier noch Prostituierte gehen zur Polizei. Drogendelikte (und auch die meisten Fälle illegaler Prostitution) sind Kontrolldelikte. Sie werden nur aktenkundig, wenn die Polizei zugreift. Jeder statistisch registrierte Rauschgiftfall ist also ein aufgeklärter Fall.

Die Zahl der Einsätze der "Sitte" ist seit zwei Jahren deutlich höher als früher. Doch man sehe nicht alles, was die Polizei mache, sagen die Verantwortlichen. Ende September zum Beispiel schickte sie Schein-Freier ins Bahnhofsviertel. Ergebnis: Elf illegale Prostituierte flogen auf. Für Andreas Lorenz' Statistik wäre das ein Anstieg der illegalen Prostitution um elf Fälle.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2016
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