Süddeutsche Zeitung

Kritik:Sand im Getriebe

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Shakespeares "Was ihr wollt" wird in Nürnberg zur Strandparty.

Von Florian Welle, Nürnberg

Immer wieder reibt man sich die Augen, wer sich alles in Shakespeares "Was ihr wollt" in wen verliebt. Allen voran die als Mann verkleidete Viola in den Herzog Orsino, der wiederum in die um ihren Bruder trauernde Gräfin Olivia verknallt ist, die ihn beharrlich zurückweist. Nur um sich prompt in Viola zu verlieben, die ihr als Orsinos neuer Bote Cesario die Aufwartung macht.

"What Is Love?" könnte man daher mit dem Eurodance-Hit von Haddaway fragen. Der Gedanke drängt sich auf, weil in Rafael Sanchezʼ Inszenierung der irren Verwechslungskomödie, die am Wochenende im Nürnberger Schauspielhaus Premiere hatte, musikalische Schmacht- und Trashfetzen eine zentrale Rolle spielen. Von Toni Braxtons "Un-break my heart" über "Dragostea din tei" von O-Zone bis zu Richard Sandersons "Reality" aus dem Film "La Boum", um nur einige zu nennen, mit denen die dreistündige Aufführung klotzt.

Vor allem letzterer trifft mit seinem Refrain "Dreams are my reality / The only kind of real fantasy / Illusions are a common thing / I try to live in dreams" Shakespeares Intention: Menschen zu zeigen, die nicht wirklich ihr Gegenüber lieben, sondern lediglich die Vorstellung, die sie sich von ihm machen. Ihren Traum von Liebe. Die Personen in "Was ihr wollt" kreisen bis auf den resignierten Narren narzisstisch um sich selbst. Darum fällt auch ihre Partnerwahl ziemlich beliebig aus. "Du sollst so sein, wie ich dich gerne hätte", keift Stephanie Leue als Olivia einmal die als Cesario verkleidete Viola (naiv-trotzig: Süheyla Ünlü) an.

Dem üblichen Spiel mit Geschlechterrollen, wie man es oft zu sehen bekommt, gilt aber nicht Sanchezʼ Augenmerk. Er zeigt eine wohlverstandsverwahrloste Spaßgesellschaft läppischer und mitunter sehr bösartiger Individualisten vor Strandkulisse. Die Bühne wurde von Eva-Maria Bauer mit Sand aufgeschüttet, darauf Liegestühle, Schwimmreifen. Im Hintergrund eine Videoleinwand mit rauschendem Meer, Vollmond oder Seepferdchen. Den Schauspielern hat Ursula Leuenberger Hawaii-Hemden, Bermuda-Shorts und Wallekleidchen verpasst. So tanzt man alkoholtrunken Polonaise: "Bongo Cha Cha Cha". Illyrien erinnert hier an Ibiza, den Ballermann, Koh Samui.

Was Shakespeare bis in die Nebenrollen hinein lediglich andeutet, wird hier meist überdeutlich ausgestellt

Man könnte also vermuten, Rafael Sanchez habe das Stück zeitgemäß interpretiert. Und doch steht sich seine Inszenierung über weite Strecken selbst im Weg. Denn, was Shakespeare bis in die Nebenrollen hinein lediglich andeutet, wird hier meist überdeutlich ausgestellt. Olivias sadistisch veranlagte Kammerfrau Maria spielt Pauline Kästner als nymphoman-quälenden Vamp, der nur mit Pistole zwischen den Beinen zum Orgasmus kommt. Das aber dann sehr flink. Es gäbe weitere Beispiele, die alle eines zeigen: Wo Shakespeare die menschlichen Untiefen erahnen lässt, waten wir mit Sanchez knietief hindurch. Was aber besitzt das größere Potenzial für Irritation und Verstörung? Die Komödie wird zur Farce.

Dabei ist die Überzeichnung noch nicht einmal das größte Problem. Das liegt darin, dass überdies die inflatorisch eingesetzten Songs dem Stück sein ureigenes Tempo rauben. Shakespeares unbändiger Wortwitz bekommt ständig Knüppel zwischen die Beine. Man lacht erstaunlich wenig, und die Aufführung bleibt über weite Strecken langatmig und zäh.

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