Süddeutsche Zeitung

Moderne Medizin in München:Mit Blaulicht gegen Knochenbrüche

Lesezeit: 4 min

Von Stephan Handel

Im Film "Rambo II" wird Silvester Stallone, als er sein Zeug für eine natürlich ebenso lebensgefährliche wie weltenrettende Mission zusammenpackt, wird also Rambo von seinem afghanischen Helfer gefragt, was denn das für Stäbe seien, die er da einpackt. "Das ist blaues Licht", sagt Rambo. "Und was macht es?" fragt der Afghane weiter. "Es leuchtet blau", sagt daraufhin Rambo.

Es wäre natürlich vermessen, Markus Stumpf vom Klinikum der Barmherzigen Brüder als den Rambo unter Münchens Unfallchirurgen zu bezeichnen. Tatsache aber ist, dass blaues Licht auch bei einer der Methoden, die er anwendet, eine wichtige und entscheidende Rolle spielt. Und dass er damit in vielen Fällen Verletzungen zumindest lindern kann, bei denen andere Therapien sich zumindest schwer tun.

Das Fatale ist, dass manchmal Knochen genau dann brechen, wenn es am ungünstigsten ist. Ein Bruch der Hüfte zum Beispiel ist natürlich in keinem Lebensalter ein angenehmes Ereignis. Nur: Bei einem jungen oder mittelalten Menschen mit gesunden Knochen ist das Becken kaum kaputt zu bekommen - da muss schon massive Gewalt darauf wirken, also ein schwerer Unfall passieren. Bei älteren Menschen hingegen werden die Knochen weich - und so genügt oft schon ein Sturz vom Stuhl, und das Becken ist durch. Das Blöde daran: In dem Alter, in dem die Knochen leicht brechen, wachsen sie auch extrem schlecht wieder zusammen.

Schwierige Heilung von Beckenbrüchen

Bis vor etwa zehn Jahren wurden Brüche im Becken oft nicht einmal erkannt. Dann begannen Unfallchirurgen sich für solche Verletzungen zu interessieren - und mit den Möglichkeiten, sie zu heilen. Da wurde zum Beispiel mit externen Fixatoren experimentiert, was ungefähr so ausschaut, als sei dem Patienten ein Handtuchhalter vor den Unterleib montiert worden. Auch Versuche mit Schrauben und mit Platten verliefen in vielen Fällen unbefriedigend, weil auch hier der Zustand des Knochens, der die Verletzung erst ermöglicht, ihre Heilung verhindert: Im morschen Material hält keine Befestigung. "Das fühlt sich an", sagt Markus Stumpf, "als wollte man eine Schraube in ein Stück Styropor drehen." Und so kam er auf das blaue Licht.

Es geht um ein Verfahren, das die US-Firma Illuminos auf den Markt gebracht hat und das sie auf ihrer Website sehr amerikanisch mit dem Spruch bewirbt: Knochenbruch-Reparatur in Lichtgeschwindigkeit. Ein bisschen länger dauert es dann allerdings schon, als Markus Stumpf in seinem Büro bei den Barmherzigen Brüdern demonstriert, wie es funktioniert - mit einem Plastik-Knochen, aber ansonsten original wie im Operationssaal.

Der Kunststoff kommt durch eine Sonde in den Knochen

Das Plastik-Teil stellt einen Oberarm-Knochen dar, er soll ungefähr in der Mitte gebrochen sein. Mit einem Pfriem bohrt Stumpf - nach einem kleinen Schnitt in die Haut - ein Loch am Ellenbogen, gerade groß genug, damit eine Sonde hindurchpasst. Sie ist nur einige Millimeter dick und trägt eine Art Plastik-Beutel, den der Arzt "Ballon" nennt - tatsächlich erinnert das Gebilde eher an eine Wursthaut, wenn auch von einer sehr dünnen Wurst. Diese Sonde - Schleuse heißt sie exakt - wird nun ins Knocheninnere geschoben und durch das Knochenmark hindurch. Das erfordert keine besondere Kraftanstrengung, weil die Schleuse das Mark ohne weiteres verdrängt. Bis hinter den Bruch dringt der Hohlstab vor - zuvor schon haben die Ärzte darauf geachtet, dass die Bruchstellen sauber aneinander liegen.

Zwei Fläschchen mit dickflüssigem Inhalt öffnet Stumpf nun - und deckt sofort ein Tuch darüber: Das Monomer, der Kunststoff also in den Fläschchen ist auch gegen Tageslicht empfindlich und würde aushärten. So aber kommt er in eine Kanüle und wird über die Schleuse in den Ballon eingefüllt, so lange, bis dieser voll ist, was der Arzt am Widerstand merkt. Nun kommt das blaue Licht zum Einsatz: die Schleuse nämlich führt nicht nur den Ballon mit sich und einen Führungsdraht, sondern auch einen Lichtleiter, so etwas ähnliches wie ein Glasfaserkabel, keinen Millimeter dick. Eine Lichtquelle schickt dort hinein jetzt UV-Licht, das den Raum bläulich erhellt. Tatsächlich haben Stumpf und seine Kollegen im OP mal das Raumlicht ausgemacht und fanden, dass das auch ganz schön aussah, alles in Azur getaucht.

Zu jedem Fläschchen mit der zähen Flüssigkeit gehört eine Art Sim-Karte, auf der gespeichert ist, wie lange der Kunststoff im Knocheninneren mit Licht traktiert werden muss, bis er hart ist - mit der Sim soll verhindert werden, dass versehentlich eine zu kurze Zeit eingestellt wird. Wenn die Lichtquelle piepst, ist die Zeit abgelaufen, der Lichtleiter wird entfernt, und im Inneren des Knochens sorgt nun ein massiver, harter Plastikstab für Stabilität, im Fall des Oberarms mit einem Durchmesser von elf Millimetern.

Die Methode ist umstritten

Das ist tatsächlich eine verblüffende und verblüffend einfache Methode, die Patienten können sofort mobilisiert werden, wenn sie aus der Narkose erwachen. Allerdings gibt es noch einige ungeklärte Fragen, weshalb das Verfahren unter Stumpfs Kollegen nicht unumstritten ist: Was zum Beispiel ist, wenn das Implantat, der Kunststoffstab entfernt werden muss, warum auch immer? Stumpf gibt zu, dass das um ein Vielfaches komplizierter wäre als die Einbringung. Was, wenn der Knochen noch einmal bricht? Das sei super, sagt Stumpf, denn nun habe der Arzt Material für Schrauben und Nägel, die hielten im Kunststoff bombenfest. Was aber, wenn beim Schrauben Kunststoffabrieb im Gewebe bleibt? Auch das kein Problem, meint Stumpf - kein Hinweis darauf, dass der Kunststoff irgendwie krebserregend sei, eine Behauptung, die manche seiner Kollegen lieber wissen als glauben würden.

Tatsächlich aber ist es so, dass Stumpf die Methode nur bei älteren Patienten anwendet: "Bei jungen weiß man ja nicht, was noch kommt" - eben zum Beispiel weitere Brüche an der selben Stelle. Außerdem sei ja die Therapie mit Schrauben und Platten sehr gut etabliert und erfolgreich - die Plastik-Licht-Kombination also eine "Nischenindikation" für jene Patienten, denen auf die konventionelle Art nicht geholfen werden könne.

In Deutschland ist die Technik zugelassen für Frakturen an Ober- und Unterarm, Mittelhand, Waden- und Schlüsselbein. Den Einsatz am Becken hat Markus Stumpf weltweit als erster Arzt gewagt - was als "Heilversuch" durchaus erlaubt ist - und mittlerweile zehn Mal angewandt. Die Krankenkassen bezahlen den Eingriff, der sie sogar günstiger kommt als eine Platte - allerdings muss die Klinik das Abrechnungssystem durchaus kreativ interpretieren. Denn auf Nägel und Schrauben sind die Versicherungen eingerichtet, nicht aber auf blaues Licht, das blau leuchtet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2408371
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.03.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.