Süddeutsche Zeitung

Philharmoniker in Japan:Plausch im Dirigentenzimmer

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Wenn Valery Gergiev ein bisschen Zeit hat, plaudert er gerne aus dem Leben eines Stardirigenten - und wie eine putzende Anna Netrebko als Superstar entdeckt wurde.

Von Egbert Tholl, Sendai/Tokio

Zunächst denkt man sich, das ist doch ein Schmarrn, schnell mal mit Gergiev im Dirigentenzimmer zu reden, in Sendai, zwischen Probenende und Konzert, zwischen Tür und Angel also, was soll denn dabei herauskommen. Nun, es kommt viel dabei heraus. Valery Gergiev hört gar nicht auf zu plaudern, da wird man selbst irgendwann nervös, er nicht. Muss der sich nicht konzentrieren vor dem Dirigieren? Das fragt man ihn eine halbe Stunde vor dem Konzert, worauf er antwortet, um sich umzuziehen brauche er drei Minuten, was solle er denn die restlichen 27 Minuten tun. In Sendai!

Völlige Verblüffung: Gergiev kann richtig lustig sein. Zunächst ist alles noch gemessen, spricht er von der Qualität der japanischen Säle - "zwischen gut und mirakulös". Er kennt die wirklich sehr gut, in Nagoya etwa war er schon mit sieben, acht verschiedenen Orchestern und kürzlich wurde er ausgiebig zur Suntory Hall in Tokio befragt. Warum? Die Halle, weltberühmt und für viele der beste Saal der Welt, wird kommendes Jahr 30 Jahre alt, und kein Dirigent hat häufiger dort dirigiert, auch kein Japaner.

Das wusste er nicht. Was er aber weiß, ist, dass man von den Auftritten hier viel lernen kann, diese Erkenntnisse mit nach Hause nehmen muss und in der Philharmonie noch viel ausprobieren muss. Damit meint er nicht, dass er dann selber dort den Akkuschrauber auspackt, sondern dass man noch viel mit der Orchesteraufstellung experimentieren kann und muss, um das bestmögliche Klangerlebnis zu finden. Am Abend war Gergiev in Tokio in einer Aufführung des Mariinsky-Balletts, erstaunlicherweise ohne selbst zu dirigieren. Man fragt sich schon, ob es überhaupt einen Abend gibt, an dem er nicht entweder dirigiert oder in einer Aufführung sitzt.

Wo angeblich der beste Saals Deutschlands steht

Am nächsten Tag erzählt er beim Essen in Tokio von einem solchen. Er war beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, fuhr unmittelbar danach zum Flughafen, flog nach St. Petersburg und dirigierte gleich nach der Ankunft eine Aufführung. Aber während des Fußballspiels, da konnte er nicht dirigieren. Also: ein Abend frei. Er erzählt so etwas ohne Eitelkeit und ohne Dünkel.

In dem winzigen Dirigentenzimmerchen in Sendai erklärt er dann noch, dass der beste Saal Deutschlands in Flensburg stehe. Jedenfalls hat er dort einmal dirigiert, klar, beim Schleswig-Holstein-Festival, und nun fragt er sich, warum man den Saal nicht einfach in den Süden verschieben könne, was soll denn der da oben, selbst "Jessie Norman hatten sie damals da raufgeschickt". Aber nicht nur: Eines Abends hockten sie zu dritt beisammen, Sergiu Celibidache, Placido Domingo und er, und die beiden anderen fragten ihn aus, wie es so sei am Mariinsky. Gergiev fing da gerade an, im Westen bekannt zu werden: "I started to get some little name."

In der Suntory Hall sang übrigens Anna Netrebko, so erzählt Gergiev, konzertant zum ersten Mal die Donna Anna aus Mozarts "Don Giovanni", jene Rolle, mit der sie später bei den Salzburger Festspielen begann, die westliche Opernwelt verrückt zu machen. Gergiev traf damals Nikolaus Harnoncourt, den Dirigenten des Furore-"Don Giovanni" in Salzburg, und der berichtete mit großen Augen, er habe gerade eine phänomenale Sängerin entdeckt. Als ihm dann Gergiev erzählte, mit dieser seiner Entdeckung habe er schon 100 Aufführungen gemacht und er kenne sie seit zehn Jahren, haute es Harnoncourt - und dieses Erzählen Gergievs muss man sich mit stummfilmhafter Komik im Gesicht vorstellen - dermaßen aus der Spur, dass Gergiev schnell beschwichtigte: Natürlich habe Harnoncourt sie entdeckt, er wolle ihm diesen Triumph gar nicht streitig machen.

Schließlich bestätigt Gergiev noch die Geschichte von der putzenden Anna Netrebko, die im Mariinsky Theater die Bühne schrubbte, weil sie die Aufführungen hören wollte, dabei vor sich hinsang und Gergiev sie flugs in den Unterricht steckte. Wenn man dann zu ihm sagt, diese Legende habe er doch erfunden, kriegt man zur Antwort: "I'm not a poet."

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Quelle:
SZ vom 01.12.2015
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