Süddeutsche Zeitung

Schwanthalerhöhe:Blumen statt Blech

Lesezeit: 3 Min.

Eine Nachhaltigkeitsinitiative will das halbe Stadtviertel in ein Freiluft-Wohnzimmer ohne Autos verwandeln. Am Ende bleiben davon nur ein paar Pflanzkästen an der Parkstraße übrig. Doch 2022 soll der "Westend-Kiez" dann kommen

Von Jessie Morgenroth, Schwanthalerhöhe

Sie fallen direkt auf, die großen, grünen Blumenkästen, die an der Parkstraße 16 bis 19 in der Schwanthalerhöhe stehen. Eigentlich parken genau dort Autos, doch die mussten Platz machen. Stattdessen blühen in den Parkbuchten farbenfrohe Blumen wie Hortensien, Astern und Geranien neben Nesseln und Lauchgewächsen. Die Bepflanzung zieht seit einigen Tagen die Blicke von Anwohnern und Passanten auf sich. Es handelt sich um das Sommerexperiment Parkstraße, bei dem Probleme erkannt und erste Reaktionen der Anwohner eingeholt werden sollen. Denn die Blumenkästen sind erst der Anfang: Das Viertel soll im Projekt "Westend Kiez" zu einem verkehrsberuhigten "Superblock" umfunktioniert werden, in dem weniger Platz für Autos und mehr Freiraum für Menschen entsteht. Grünflächen würden dann zum Verweilen einladen und einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. In Barcelona gibt es so einen Superblock bereits - auch in München soll einer entstehen. Der Bereich könnte das Viereck Schwanthaler-, Schießstätt-, Kazmair- und Ganghoferstraße umfassen.

Diese Vision hat zumindest der Initiator der grünen Parkbuchten, die Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN), genauer gesagt die MIN Manufaktur 2 Mobilität und Verkehr. Eigentlich wollte die Initiative in diesem Sommer ein größeres Projekt angehen und gleich einen Abschnitt der Schießstättstraße kurzzeitig im Stil eines Superblocks umgestalten. Geplant waren etwa Grünflächen und Sitzmöglichkeiten auf der Straße. Doch der Start der Bauarbeiten für die Neuordnung des ehemaligen Saturn-Hauses verhinderte diese große Lösung. Die Initiatoren mussten spontan umplanen. Statt der Schießstättstraße haben sie nun die Parkstraße 16-19 für das Sommerexperiment 2021 auserkoren, mehr Projektfläche gibt es dieses Jahr nicht. Aber auch diese kleine grüne Oase komme bei den Anwohnerinnen und Anwohnern, den Passantinnen und Passanten gut an, freuen sich Sylvia Hladky, Leiterin der Manufaktur Mobilität, und MIN-Geschäftsführerin Hannah Henker.

Zuvor hatte es mehrere Gespräche mit Bürgern gegeben. Auch jetzt können noch Ideen und Anregungen eingereicht werden. Die Angst, dass auf den Freiflächen Sitzmöglichkeiten entstehen, die dann nachts womöglich von lautstark feiernden Gastronomie- und Partygästen genutzt werden, haben die Initiatoren den Anwohnern genommen. Sie haben keine Stühle, dafür viele Blumen und Pflanzen platziert. "Die Anwohnerinnen und Anwohner sind glücklich, dass es die Grünflächen gibt", sagt Sylvia Hladky. Denn im Westend fehle es genau daran. Da Begrünung die Folgen des Klimawandels aber abmildern kann, war es Hladky ein besonderes Anliegen, für mehr Grün zu sorgen. Von den Anwohnern werde dies honoriert. "Die Menschen nehmen sie wahr, und es entstehen Diskussionen - wenn auch im kleinen Rahmen." Großen Widerstand wegen des temporären Wegfalls von Parkplätzen habe es nicht gegeben, "die Hälfte der Leute im Westend hat ohnehin kein Auto", erklärt Hladky. Außerdem könnten Anwohner ihre Fahrzeuge bis Sonntag, 19. September, vergünstigt in der Parkgarage im Forum Schwanthalerhöhe abstellen.

Gut 25 000 Euro - Geld, das vom Mobilitätsreferat stammt - hat die MIN Manufaktur 2 in das Sommerexperiment investiert. Sicher wäre es auch günstiger gegangen, "doch es soll ja auch nach etwas aussehen", begründet Hladky. "Wir wollen, dass die Leute ,wow' sagen. Und das tun sie." Außerdem werden die Kästen im kommenden Jahr wiederverwendet, die Blumen gehen nach dem Abbau am 13. September an Green City - zum Teil hätten auch Anwohner gefragt, ob sie welche haben könnten. Geliehene Bäume werden zurückgegeben.

Große Diskussionsrunden und Informationsstände darf die MIN an den Blumenkästen coronabedingt nicht organisieren. Dafür gibt es im nur wenige Gehminuten entfernten Forum Schwanthalerhöhe eine Ausstellung zur "Vision Schießstättstraße". Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Im August 2022 soll das dieses Jahr gescheiterte Projekt nachgeholt und die Schießstättstraße umgestaltet werden. Die Straße soll sich in eine "Erholungsoase" verwandeln - mit weniger Autos, dafür üppiger Begrünung, Blumen und Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch Loungemöbel aus Holz sollen zum Verweilen und Entspannen einladen, denn im Gegensatz zur Parkstraße besteht dort das Problem der nächtlichen Lärmbelästigung nicht. Zudem sind Hochbeete geplant, die die Initiatoren auch den Anwohnern zum Gärtnern und zur Pflege beziehungsweise als Patenschaftsangebot zur Verfügung stellen wollen. Die große Hoffnung der MIN Manufaktur 2 ist, dass der Bezirksausschuss 2022 einen Antrag zur Umgestaltung des Westends zum verkehrsberuhigten Superblock stellt.

Die Ausstellung dazu im Forum Schwanthalerhöhe zieht zahlreiche Besucher des Einkaufszentrums in ihren Bann - viele bleiben stehen und informieren sich. Es ist nicht die einzige Schau im Center, auch gibt es eine kleine Ausstellung zu umweltverträglicher Mobilität, bei den kleinen Gästen kommt das Botanik-Labor exzellent an. Dort können Kinder mehr über Pflanzen, Tiere und Insekten erfahren und der Natur näher kommen. Auch viele zu den Ausstellungen gehörende Exponate werden später wiederverwendet - die grünen Sitzmöbel etwa sollen im kommenden Sommer in der Schießstättstraße aufgebaut werden.

Darüber hinaus stellt das Einkaufszentrum einen Raum für Informationsveranstaltungen zur Verfügung. An diesem Montag, 6. September, wird von 18 bis 19.30 Uhr das Thema "Kein Auto und doch mobil - wie können wir das im Westend gestalten?" im Forum Schwanthalerhöhe, Theresienhöhe 5 behandelt.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2021
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