Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Urbaner Klebstoff

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Mit ihrem Kunstprojekt "Punkt.Punkt.Stadt" wollen die Studentinnen Meret Hoffmann und Carolina Liedl die Position der Bewohner zur Nachverdichtung schwarz auf weiß ausloten

Von Jutta Czeguhn

Was, wenn das möglich wäre? Ein leerer Siedlungsraum, in dem noch alles offen ist, weil da nichts, rein gar nichts ist. Stunde Null. Sich dort einzuschreiben, den Claim abzustecken wie die allerersten Siedler, den unbestimmten Raum zum Ort machen. Dazu laden Meret Hoffmann und Carolina Liedl in der Super+Centercourt Gallery ein, "Punkt. Punkt. Stadt" nennen sie ihr Projekt. Was im Schauraum an der Ecke Adalbert-/Türkenstraße entstanden ist und noch bis zu diesem Sonntag entstehen wird, kann man als Pointillismus der besonderen Art sehen. Es geht um Stadtentwicklung in Reinform: Ein Mensch setzt einen Punkt - und die Expansion beginnt.

Der Erste, der in der vollständig kalkweiß gestrichenen Galerie den schwarzen Punkt von der Klebefolie löste, war bei der Vernissage am 14. Juli Otto Künzli, frisch gekürter Designpreis-Träger 2017 der Landeshauptstadt. Der Schmuckkünstler und Hochschullehrer habe sich viel Zeit genommen und den Raum auf sich wirken lassen, erinnert sich Meret Hoffmann. Zielstrebig geht sie zur einen Schaufensterfront und tippt an die Glasscheibe. Ja, der da, das sei der Künzli-Punkt. "Wir waren begeistert, weil er damit den Raum sofort geöffnet hat, so wie wir uns das vorgestellt hatten", sagt Hoffmann. "Alles soll hier bespielbar sein."

Meret Hoffmann und Carolina Liedl, beide 27, studieren im dritten Semester Architektur und Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in der Klasse von Carlo Baumschlager. "Punkt.Punkt.Stadt" ist ihr erstes Ausstellungsprojekt. Um so mehr sehen sie es als Glück an, dass ihnen die Kuratoren der Centercourt Gallery diesen nach zwei Straßenseiten einsehbaren Raum zur Verfügung gestellt haben. Und sie hatten auch nie damit gerechnet, vom Bezirksausschuss Maxvorstadt 1500 Euro als Unterstützung für ihr Experiment zu bekommen. Mit ihrem Erstling haben sich die beiden gleich an ein Thema herangewagt, das speziell in München viele umtreibt. "Wir laden die Leute ein, über Stadt nachzudenken, wir wollen das Verhalten der Bewohner zur Verdichtung ausloten", sagt Carolina Liedl.

Die Studentinnen stecken tief drin in der Materie. Sie haben schon minimale Wohnformen erforscht. Dann, im vorigen Sommersemester, hat ihnen ihr Professor eine Aufgabe von einiger Sprengkraft gestellt: Sie sollten Lösungen finden für die Nachverdichtung von Innenhöfen an der Nordendstraße. Kern- und Knackpunkt dabei: Wie bringt man eine öffentliche Nutzung in einen privaten Raum, ohne dass die Anwohner durchdrehen? "Als Stadtplaner und Architekten möchten wir deutlich machen, dass Nachverdichtung nicht immer negativ sein muss, dass sie auch eine Chance sein kann, Räume neu zu gestalten", sagt Meret Hoffmann. In den Ohren von Betroffenen mag das wie aus dem Portfolio eines Immobilien-Investors klingen. Die Studentin aber meint es sehr ernst: "Es ist enorm wichtig, eine Plattform zu schaffen, damit sich die Menschen darüber auseinander setzen."

Mit ihrer Versuchsanordnung "Punkt.Punkt.Stadt" versuchen Hoffmann und Liedl genau das, und zwar auf spielerische, partizipatorische, sehr minimalistische Weise. Wir müssen zurück zum (Ausgangs-)Punkt einer Stadtentwicklung, zu dem sich dann alles weitere in Beziehung setzten wird, so ihr Gedanke. Nichts als einen Turm handtellergroßer schwarzer Klebepunkte stellten sie als Rohmaterial für ihr "Crowd-Pointing"-Experiment im weißen Raum bereit. Ausgehend von der These, dass der Mensch nicht anders kann, als sich auf einer leeren Fläche zu lokalisieren, auf einer blanken Leinwand sein Signet zu hinterlassen.

Nach dem Punkt von Otto Künzli an der Fensterscheibe - der auch die Frage aufwirft, warum in Galerien und Museen die Fenster kaum eine Rolle spielen - folgten weitere. Weil es bei der Vernissage regnete, hatten Besucher Schirme dabei und jonglierten damit sogar einige Punkte an die Decke. Schnell fanden sich auch Punkte am Fensterbrett, an der Türscheibe, in den Ecken, am Boden. "Anfangs hatten wir den Eindruck, die Leute klebten sehr individuell, als wollten sie sich möglichst frei stellen", berichtet Meret Hoffmann. Wobei nicht klar ist, ob sich diese Kleber als marginalisiert oder gar privilegiert empfinden. Dann aber tauchten erste Gruppen-Projekte auf. Sie zeigt auf die akkurat waagrechte Reihung dreier Punkte. Zu diesem Trio gesellten sich bald andere Kleber. Die schwarzen Formationen erinnern an Sternbilder, Vogelschwärme oder die Notationsmethode eines Komponisten Neuer Musik. Punkte zickzacken die Wände hinauf. Mit etwas Abstand betrachtet, hat das Ganze eine beinahe dreidimensionale Qualität. "Je voller der Raum wird, desto mehr tendieren die Leute mit ihren Punkten zur Zentrenbildung", beobachtet Hoffmann. Punkte überlappen sich, kuscheln in dichten Haufen. Eine echte Mitte aber, die als Kristallisationspunkt gelten könnte, sucht man vergeblich. Weshalb die Frage eines Passanten, wo denn in diesem Neu-München in Schwarz-Weiß der Marienplatz zu orten sei, die Künstlerinnen eher belustigt.

"Wir haben viele Besucher, die regelmäßig den Kopf zur Tür hereinstecken und nach ihren Punkten schauen", erzählt Carolina Liedl. Sie und Meret Hoffmann haben den Gästen - Nachbarn aus dem Viertel, Studenten, Kinder - bewusst nichts vorgegeben. Sie sollten unbeeinflusst agieren und ihren Standpunkt in dieser Möglichkeit einer Stadt finden. Allerdings waren sie zur Stelle, wenn Gesprächsbedarf bestand. "Wir haben viele emotionale Geschichten erfahren, über Wohnsituationen, die sich gerade verändern, über die Sorgen der Menschen", sagt Liedl. Oft ging es dabei um ganz existenzielle Fragen: Wo soll ich künftig wohnen in dieser teuren Stadt, die zunehmend zu einem Ort wird, an dem Superreiche ihr Geld in Immobilien parken? Wo gibt es Platz für Familien, alte, junge Menschen, für die Künstler? Finden sich nun Antworten darauf an den Galeriewänden? Lässt sich aus den schwarzen Punkten, respektive dem "negative space", also der weißen Fläche, die sie umgibt, das Wunschbild einer neuen Stadtlandschaft herauslesen, gar Strategien zu seiner Verwirklichung? Die beiden Frauen haben - noch - keine Antworten. Was sich dechiffrieren lasse in diesem urbanen Gewebe, sagt Liedl, sei die Sehnsucht nach Freiraum und Koexistenz gleichermaßen. In dieser Hinsicht beobachtet sie an den Wänden eine erstaunlich auskomponierte Harmonie im Punkte-Chaos.

Bei der Finissage an diesem Sonntag wird der letzte Punkt auf dieser Stadtkarte gesetzt. Für Meret Hoffmann und Carolina Liedl, die danach mehrere hundert Punkte einsammeln müssen, ist das aber nur der Startpunkt für neue Projekte. Sie wollen die Impulse, die sie bekommen haben, nun ganz konkret in den Stadtraum hinaustragen. Punkte setzen.

"Punkt.Punkt.Stadt", Super+Centercourt-Gallery, Adalbertstraße 44, Samstag, 26. August, 10 bis 12 Uhr, Sonntag, 27. August, Beginn 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2017
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