Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Schwabinger Heimat

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Der Elisabethmarkt ist ein beschaulicher Ort im Großstadt-Getriebe. Doch nun stehen Veränderungen für den Platz an. Die Buden werden saniert, und die Stadtwerke planen einen Neubau am Rand des Marktes

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Das Lebenswerk von Carl Brendel darf getrost als gescheitert betrachtet werden. Jene, die das Lebensgefühl in Schwabing und ganz besonders am Elisabethplatz schätzen, werden dies kaum bedauern. Der Arzt und Abstinenzler hatte sich der "Eindämmung des Völkergifts Alkohol" verschrieben; auf seine Initiative hin wurde Ende des 19. Jahrhunderts am Elisabethplatz ein Pavillon errichtet, das Milchhäusl. Dort wachte er täglich von fünf Uhr früh an darüber, dass die Arbeiter nur Milch ausgeschenkt bekamen. Indes fließt seit geraumer Zeit das Bier in Strömen aus den Zapfhähnen in diesem Pavillon, das heute "Café Wintergarten" heißt. "Für manche Gäste ist das hier wie ihr Wohnzimmer und ihr Balkon", sagt der Wirt Ignaz Schmid über seine kleine, urige Gaststube nebst Biergarten.

Es ist elf Uhr an einem Werktag, und Carl Brendel wacht hier immer noch: auf einem Foto an der Wand gleich neben der Theke. Man kann sich vorstellen, wie er, wäre er jetzt hier, dem halben Dutzend Gästen, die es sich mit einem Glas Bier oder Sekt bequem gemacht haben, eine gesalzene Moralpredigt halten würde. Sie würden ihn wohl auslachen - und dann gelassen erklären: Der Elisabethplatz ist kein Allerweltsort, sondern ein Stück Heimat für die Schwabinger. Er ist wie eine öffentliche Wohnung mit verschiedenen Zimmern, in der alle gern und oft vorbeischauen, und wo man gern und oft gemütlich ein Bier miteinander trinkt. Womöglich würden sie den Kabarettisten Gerhard Polt zitieren: Wir hier in Bayern trinken das Bier schon seit Jahrtausenden - und zwar aus kultureller Verantwortung heraus. Und wenn schon die Rede von kulturellen Verantwortung ist: Die sehen viele Schwabinger bei der Stadt, um Himmels Willen behutsam mit dem Markt am Elisabethplatz umzugehen. Denn wenn das ehemalige Milchhäusel das Wohnzimmer, der Biergarten der Balkon der Westschwabinger ist, dann fungiert der Elisabethmarkt als Gemeinschaftsküche. Ein nahezu familiäres Zuhause im öffentlichen Raum für die spezielle Schwabinger Mischung: für Menschen im gediegenen Anzug wie in abgetragenen Jogginghosen, für die Geschniegelten wie die Halbseidenen.

Der ganze Platz ist erstaunlich beschaulich, obwohl er vom Verkehr umspült ist: Arcisstraße, Franz-Joseph-Straße, Elisabethstraße und Nordendstraße kreuzen sich hier. Blickfang ist die ehemalige Elisabeth-Volksschule, heute Berufsschule, und das Gisela-Gymnasium, mit den spitzen Turm und den drei Giebeln. Nebenan, auf Hausnummer 5, passierte einer der berühmteste Morde der Münchner Kriminalgeschichte: Der Schauspieler Walter Sedlmayr wurde in seiner Wohnung erschlagen. Auf der anderen Straßenseite, dort, wo die Transparente des Jugendtheaters Schauburg an der Fassade hängen, war die Diskothek "Blow up". Dort soll einst auch der RAF-Terrorist Andreas Baader abgehottet haben. Bereits seit 1903 stehen auf dem Platz 23 Marktstände sowie das Freibankgebäude. Ein kleiner Viktualienmarkt, wie es ihn auch in Pasing und am Wiener Platz in Haidhausen gibt. Doch die alten Buden sind veraltet, das ganze Standl-Ensemble soll von Grund auf saniert werden. Hinzu kommt, dass die Stadtwerke München (SWM) mit der Stadtsparkasse München auf dem Betriebsgelände an der Südseite des Platzes einen Neubau hochziehen wollen: 170 Wohnungen sollen entstehen, dazu Büroflächen. Der Clou: Die dringend nötige Marktinfrastruktur - Lagermöglichkeiten, Toiletten, Duschen - könnten ins Erdgeschoss integriert werden, "um die Zentrumsfunktion des Marktes weiter zu stärken", sagt ein SWM-Sprecher.

Für die Schwabinger fühlt es sich jedoch an, als ob ihre vier Wände völlig umgekrempelt werden. "Der Elisabethmarkt ist für viele hier ein Lebensmittelpunkt", sagt Elke Winkler. Die 54-Jährige richtet an ihrem Blumenstand gerade ein Bund Tulpen für einen jungen Mann. Seit 78 Jahren versorgt ihre Familie die Schwabinger mit bunten Gewächsen. Doch es geht nicht nur um die Blumen, ums Geld verdienen. Zwischen Rosen und Tulpen schütten die Menschen ihr Herz aus. Betagte Alte dürfen in ihrer Börse nach dem Kleingeld kramen, ohne dass Elke Winkler ungeduldig wird. "die Leute haben Angst, dass der Markt sein Gesicht verliert", sagt sie.

Und wie ist das so? Nicht so hektisch wie der Viktualienmarkt, nicht so ein Gewusel. Eher verspielt, gemächlich, verträumt. "Und romantisch", sagt Elke Winkler leise lächelnd. Eng stehen die Standl, wie eine aufgereihte Budenfamilie. Die Gasse zwischen erster und zweiter Reihe mutet nahezu südländisch an. Blank poliertes Obst konkurriert mit Blumenblüten um Beachtung; die Kunden schlendern an einfachen Schiefertafeln vorbei, auf denen mit Kreide das Warenangebot geschrieben steht. Es ist ein Idyll des täglichen Bedarfs, frei von marktschreierischem Gehabe.

"Ich genieße diesen Markt und diesen Platz", sagt Simone Nistl. Die 33-jährige steht neben dem Spielplatz, dem Spielzimmer der Elisabethplatz-Gemeinde. Zwei Knirpse kugeln herum, beobachtet von ihren Eltern, die im Wintergarten-Biergarten gerade Weißwürste ordern. Nistl ist Grundschullehrerin und an diesem Vormittag mit 22 Schülern da. Bio-Unterricht im Budendorf. Eine Handvoll Kinder umlagert gerade den Obst- und Gemüsehändler Karl Huczala, erste Reihe, Stand 7.

Huczala erklärt alles geduldig, bis sie zum Metzger-Standl weiter ziehen. "Wenn die Baustelle fertig ist, werden wir den schönsten Flecken Münchens haben", sagt der 34-Jährige. Er ist Sprecher der Elisabethmarkt-Händler - und er glaubt der Stadt, dass sie Wort hält. Die hat versprochen, die Sanierung äußerst behutsam anzugehen. Hinterher sollen die Bürger von einer Veränderung so wenig wie möglich bemerken, heißt es. Behutsam ist die Stadt bisher offenkundig mit den Händlern umgegangen; Huczala lobt die Zusammenarbeit. Ausführlich seien sie alle befragt worden nach ihren Wünschen für den Umbau. Dennoch, die Sorgenfalten auf der Stirn kann er nicht verstecken. Er weiß, dass die Baustelle Staub und Dreck bringen wird - und Umsatzeinbußen, denn die öffentliche Heimstatt der Schwabinger wird dann eine Zeit lang ziemlich ungemütlich sein. Karl Huczala will das durchstehen. "Ich gehe hier erst weg, wenn's zum Familiengrab nach Feldmoching geht."

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Quelle:
SZ vom 02.05.2015
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