Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Der heiße Unterschied

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Eine Bürgerinitiative misst die Temperaturunterschiede an bebauten und grünen Flächen im Domagkpark. Bis zu fünf Grad divergieren die Werte in wenigen hundert Metern Entfernung. Mehr Bäume, so die Forderung, sollen das Klima verbessern

Von Merle Körber, Schwabing

Den Bewohnern des Domagkparks ist es zu heiß. Die weiten, asphaltierten Straßen reflektieren die Sonne, die Luft flimmert vor Hitze. Mit Thermometern bewaffnet macht sich Birgit Rieder von der Bürgerinitiative "Mehr Grün... im Domagkviertel" dieser Tage auf, um zu messen, wie warm es an verschiedenen Standorten im Viertel wird. "Die Temperaturspreizungen zwischen bebauten und grünen Flächen sind groß", erklärt sie. Mit der Messaktion will die Bürgerinitiative auf das Thema aufmerksam machen. "Bei der Stadtplanung muss ein Umdenken geschehen", findet Rieder.

Auf ihrem Rundgang durch das Domagkviertel positionieren Birgit Rieder und die anderen Mitglieder der Initiative sowie des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann ihre langen Holz-Thermometer an verschiedenen Orten. Auf der Straße zwischen den Häuserschluchten, auf dem Bauhausplatz und zwischen den Bäumen des Domagkparks. Um die Werte vergleichen zu können, messen sie morgens, mittags und abends, jeweils einmal in der Sonne und einmal im Schatten. "Morgens unterscheiden sich die Temperaturen kaum und liegen bei 17 bis 18 Grad", sagt Rieder. Später am Tag driften die Temperaturen auseinander: "Im Park steigt die Temperatur in der Sonne auf 28 Grad, ohne die Bäume heizt es sich bis 33 Grad auf." Dabei liegen die Standorte nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. "Was wir hier machen, ist natürlich keine wissenschaftliche Messung, sondern nur eine Momentaufnahme von einem Tag", räumt sie ein. Die Aktion solle aber visualisieren, was die Anwohner Tag für Tag spüren.

Erst vor vier Jahren entstand das neue Viertel auf dem alten Kasernengelände. "Ein Teil des alten Baumbestands konnte gerettet werden", erzählt Rieder. Trotzdem sei der Stadtteil heute weit entfernt von der grünen Oase, die im Bebauungsplan angedacht gewesen sei. "Alle 13 Meter sollte ein Baum gepflanzt werden", erzählt Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der Bund Naturschutz Kreisgruppe München, Christian Hierneis (Grüne). Im Bebauungsplan habe es ausgesehen, als sei das Viertel ein Wald mit ein paar Häusern. Stattdessen finden sich dort jetzt versiegelte Flächen, Kies und Asphalt. "Ein solcher Bebauungsplan wird vom Stadtrat genehmigt", erklärt Hierneis und ergänzt: "Dann müsste er eigentlich auch verbindlich sein."

Die Mitglieder der Bürgerinitiative "Mehr Grün ...im Domagkpark" und des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann betreiben Aufklärung mit Thermometer und Plakat.

Das wenige Grün, das im Domagkviertel existiert, kann den Asphalt nicht kompensieren.

Die weiten, asphaltierten Straßen reflektieren die Sonne, die Sommermonate fühlen sich für die Bewohner so noch heißer an.

Vor zwei Jahren gründeten die Bewohner des Viertels die Initiative "Mehr Grün... im Domagkviertel". Damals unterschrieben 546 Anwohner einen Antrag für mehr Vegetation im Viertel. Seitdem setzen sich Birgit Rieder, ihre Freunde und Nachbarn dafür ein, dass die Stadt dort neue Bäume pflanzt, und hatten mit ihrem jüngsten Antrag im Bezirksausschuss bereits Erfolg. "Was die Entsiegelung angeht, die wir uns wünschen, ist aber noch überhaupt nichts passiert", kritisiert Rieder.

"Jeder Baum kühlt", sagt Hierneis. "In einer immer heißer werdenden Welt brauchen wir Grünflächen und Luftschneisen, um Städte klimaresilient zu machen." Außerdem sei eine ausreichende Bepflanzung eine Voraussetzung für Artenvielfalt und Diversität in der Stadt. "Dabei ist das nicht nur ein ökologisches Problem, sondern ebenso ein gesundheitliches."

Dass es nicht überall möglich sei, Bäume zu pflanzen, wisse er. Nachverdichtung mache Begrünung an manchen Stellen unmöglich. "Aber hier haben wir die nötigen Flächen", hält er entgegen. Die Gehwege seien viel breiter als nötig, und selbst für Parkplätze seien andere Lösungen denkbar: "Möglich wäre beispielsweise ein Parkhaus am Eingang des Viertels, um in den Straßen Platz für mehr Grün zu schaffen."

Auch Birgit Rieder glaubt, dass neue Lösungen in der Stadtplanung gefunden werden müssen: "Es kann nicht sein, dass in der langen Liste an Dingen, die bei der Planung bedacht werden, die Bäume an letzter Stelle kommen." Natürlich brauche es Parkplätze und Feuerwehrzufahrten, Bäume sollten aber nicht nur den Platz bekommen, der ganz am Ende übrig bleibt. Rieder hofft, dass die Aktion wachrüttelt: "Klimaschutz ist eine Herausforderung - aber so werden wir sie nicht lösen." Sie sieht ihr Viertel als eine Möglichkeit zu zeigen, wie Klimaresilienz in der Stadt aussehen kann. "Wenn sich hier etwas ändert, kann das Domagkviertel zu einem Modellprojekt für ganz München werden", hofft sie.

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SZ vom 10.08.2020
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