Süddeutsche Zeitung

Luisengymnasium:"Montag zehnte Stunde, das will keiner"

Lesezeit: 4 min

Andreas Mörgenthaler muss bis Montagmorgen im Luisengymnasium den Stundenplan gestalten. Es ist ein Ringen um Perfektion - die doch nie erreicht wird.

Von Martina Scherf, München

Es ist Mittwoch, Tag drei im Marathon der Stundenplaner. Andreas Mörgenthaler und Matthias Biallowons sitzen vor zwei großen Bildschirmen und schieben bunte Kästchen, Kürzel und Zahlen hin und her. Die Nervosität ist ihnen anzumerken, aber noch lächeln sie. Auf dem Aktenschrank liegt Nervennahrung bereit - Nüsse, Äpfel, Bananen. Unter dem Tisch streckt Hündin Foxi alle Viere von sich und blickt gelangweilt drein. Sie interessiert höchstens: Wann hat Herrchen endlich wieder Zeit, Gassi zu gehen?

Zwölf Stunden jeden Tag verbringen die beiden Lehrer in der letzten Ferienwoche im ersten Stock des städtischen Luisengymnasiums und knobeln in ihrem kleinen Büro an der bestmöglichen Lösung für die Stundenpläne. 78 Lehrer, 21 Klassen, dazu die Oberstufenkurse, G8- und G9-Jahrgänge, Wahlfächer, AGs - das alles in eine Form zu gießen, mit der Schüler und Lehrer leben können, ist ein riesiges Puzzle und eine echte Herausforderung. Das kommende Wochenende werden sie durcharbeiten, sagt Mörgenthaler, das sei noch jedes Jahr so gewesen. Am Montag müssen sie ihren Plan präsentieren.

Wären die Eckdaten schon am Ende eines Schuljahres klar, wäre vieles einfacher. Aber erst am letzten Tag vor den Ferien steht fest, welcher Lehrer versetzt wird, welche Planstellen dazu kommen oder wegfallen, welche Aushilfen kommen. Und dann ist es ja nicht so, dass sich für einen Mathelehrer, der geht, sofort ein neuer findet.

Vielleicht bewirbt sich eine Deutsch- und Englischlehrerin, aber man braucht nur Englisch, und vielleicht kommt eine, die nur eine halbe Stelle will, man braucht aber eine volle. "All das klärt sich oft erst bis zum letzten Ferientag", sagt Morgenthaler. So war es auch diesmal. Erst gestern, an diesem Dienstag, konnten sie ihre letzte freie Stelle wieder besetzen.

Und dann passiert noch sowas: "Heute Morgen haben wir erfahren, dass der Stadtrat uns zehn Stunden mehr bewilligt hat", sagt Mörgenthaler. Wie schön, die kann man jetzt unter den Teilzeitkolleginnen verteilen. Doch einfacher macht das die Sache erst einmal nicht. Denn ein neues Puzzleteil bedeutet für die Planer: Sie müssen das ganze Spiel nochmal auseinandernehmen und neu zusammenfügen.

Andreas Mörgenthaler, 35, macht das jetzt zum fünften Mal. Er ist Bio- und Chemielehrer und seit sieben Jahren am Luisengymnasium. Der Zusammenhalt im Kollegium sei großartig, sagt er, die Direktorin habe immer ein offenes Ohr für die Kollegen. Biallowons, Deutsch- und Katholische Religion, ist zum ersten Mal im Planungsbüro dabei.

"Ein bisschen analytisches Verständnis braucht man schon für diesen Job", sagt Mörgenthaler und reicht Foxi ein Leckerli unter den Tisch. Der Schulhund gehört ihm, er hat den Labradormischling vor einem guten Jahr aus dem Tierheim geholt. Foxi kam schon als Welpe zum Probeunterricht und hat sich perfekt eingefügt, erzählt er. So ein Tier trage zum guten sozialen Klima bei, das hätten Studien bestätigt; deshalb hat die Schule das Experiment gewagt.

Wenn er mit Foxi durch die Flure gehe, erhellten sich die Mienen von Kollegen und Schülern, erzählt Mörgenthaler. Und im Unterricht? "Anfangs war es aufregend, jetzt gehört sie zur Klasse." Wenn es zu laut wird, sagt er: Schaut mal, Foxi wird schon ganz unruhig. Das wirkt. "Auf den Hund nehmen sie mehr Rücksicht als auf den Lehrer." Er lacht.

Mörgenthaler ist gerne Lehrer, das spürt man. Den Stundenplan-Koordinator macht er, "weil ich das Schulleben mitgestalten will." Und an keiner anderen Stelle in dem großen Betrieb habe man es so zentral mit allen Beteiligten zu tun.

Im ersten Schritt werden die Stundentafeln für alle Fächer notiert. Die sind vom Ministerium festgelegt - weil jetzt das G9 wieder eingeführt wurde, ist die Sache um einiges komplizierter geworden. Als nächstes werden die Kollegenwünsche abgefragt. Wer ist an welchen Tagen da? Wer mag Unterstufe, wer Oberstufe? Die Mittelstufe mit den Pubertierenden ist weniger beliebt, "aber es gibt auch Kollegen, die das gerne machen", sagt Mörgenthaler.

Die meisten Lehrer bevorzugten Stunden am Vormittag - "Montag zehnte Stunde, das will keiner." Viele arbeiten nur Teilzeit. Wer Kinder hat, die er in die Kita bringen und nachmittags holen muss, meidet die erste und die letzte Stunde. "Das sind recht viele Kollegen", sagt der Planer, "trotzdem muss der eine oder andere in den sauren Apfel beißen."

Die Wahlkurse werden notiert, die einzelne Lehrer anbieten möchten, Schreibmaschine, Robotik oder Chor. Dazu die Pausenaufsichten, Teamsitzungen und Bereitschaftsstunden - sechs Kollegen müssen zur Stelle sein, falls jemand überraschend krank wird. Dann wird der Sport- und Schwimmunterricht festgelegt, weil die Hallenzeiten in den Bädern gebucht werden müssen. Und wenn dann der Lehrerbedarf fest steht, beginnt das Verteilen.

Der Stundenplan braucht auch Abwechslung

Als erstes kommen die Oberstufenkurse dran, schließlich alle anderen Jahrgangsstufen und die Ganztagsklassen. "Die Schienen, in denen alle Schüler da sind, legen wir in die Mitte", erklärt Mörgenthaler, denn es sollen nicht zu viele Lücken in ihrem Schultag, der ohnehin sehr lang ist, entstehen. Kernfächer werden über die Woche verteilt, "also nicht zwei Doppelstunden Mathe am Montag und Dienstag." Harte Fächer sollen sich mit musischen oder mit Sportstunden abwechseln, damit die Konzentrationsfähigkeit nicht nach fünf Stunden Mathe, Englisch, Chemie, Physik und Deutsch völlig zum Erliegen kommt.

Und wenn alles unter Dach und Fach ist, vielleicht am Sonntag um Mitternacht? "Dann haben wir unser Herzblut und unsere ganze Energie in diesen Plan gesteckt, aber sicher wird der eine oder die andere wieder motzen und schimpfen." Dann heißt es womöglich: Ich wollte doch die Fünfte und nicht die schwierige Zehnte! Oder: Schon wieder Nachmittag! Oder: Dreimal erste Stunde, da finde ich keine Kinderbetreuung! Aber allen recht machen, das ist unmöglich. "Irgendwann muss man sagen: Jetzt ist Schluss, die perfekte Lösung gibt es nicht", sagt Mörgenthaler. Foxi blinzelt ihn an, als wolle sie sagen: Hauptsache, es ist endlich wieder was los in der Bude.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018
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