Süddeutsche Zeitung

Schickeria:Helden des Boulevards

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Bier trinken sie auch - aber noch lieber gesponserten Champagner. Sie veröffentlichen unablässig Bekenntnisse über ihr Leben: die Damen und Herren der Schickeria. Klein an Zahl, haben sie es geschafft, dass man sie in Bottrop oder Neumünster für den Inbegriff des Münchner Lebensstils hält. Eine Stadt und ihre Promis.

Christian Mayer

Wenn man eine Ahnung davon bekommen will, warum München eine glückliche Stadt ist, muss man nur mal die Boulevardzeitungen vergleichen. An einem ganz normalen Montag kann man etwa in den Berliner Blättern jede Menge Sex & Crime-Geschichten lesen: über einen Mord an einer jungen Türkin, Meldungen über Handy-Räuber, schwer bewaffnete Hauptschüler, Hartz-IV-Betrüger und einen allzeit zeugungswilligen Gorilla namens Bokito ("der Sex-King") aus dem Berliner Zoo.

Die Ausgaben der Münchner Zeitungen berichten dagegen von einer Gesellschaftsparty mit halbprominenten Gästen in Champagnerlaune und einem US-Starimport, einer übergewichtigen "Soul-Diva". Während die Hauptstädter dem Boulevard nach zu urteilen nicht allzu viel Lebensfreude haben, erreicht das Gesellschaftsleben an der Isar immer neue Höhepunkte: Sogar die Vip-Vorstellung einer neuen Methode der Faltenbekämpfung durch eine "Sauerstoff-Druckinjektion" wird in den Blättern gewürdigt. Als ob die wohlhabenden Damen aus Bogenhausen und Grünwald nicht schon längst faltenfrei wären.

Gibt es überhaupt so etwas wie die Münchner Gesellschaft? Ist das, was oft mit einer Mischung aus Selbstironie und Überheblichkeit "Society" genannt wird, nicht vielmehr eine Erfindung der Medien?

München feiert 365 Tage im Jahr eine Art Promi-Oktoberfest, nur dass man statt Bier lieber gesponserten Champagner trinkt und die landesübliche Tracht nicht mehr aus Dirndl und Trachtenjanker besteht, sondern aus Escada-Kleidchen und Helmut-Lang-Anzug. Eine ganze Branche verdient gutes Geld mit der Variation der immer gleichen Gästeliste, die die 1,3 Millionen Einwohner auf etwa 120 Personen reduziert.

Außerdem arbeiten die in München ansässigen Promis selbst hart am eigenen Image. Unaufhörlich veröffentlichen sie ihre Bekenntnisse: Uschi Glas, Oliver Kahn, Jürgen Fliege, Lisa Fitz, Boris Becker, Mario Adorf, Dieter Hildebrandt, Senta Berger, Heiner Lauterbach und Michael Ballack teilen uns ihre Schicksalsschläge, Wehwehchen und Glücksmomente ganz freiwillig mit. Die Chance, im Blitzlicht zu glänzen, ist in der Film- und Fernsehstadt München größer als anderswo.

Nicht nur während des Oktoberfests, beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg und bei den Opernfestspielen. Auch die großen Kinopremieren, die Auto-Präsentationen von BMW oder die Einladungen der Luxusmarken, die ganze Villen für PR-Partys anmieten, sind bestens zur Selbstdarstellung geeignet. Und welche andere Landesregierung leistet sich schon einen eigenen Film-, einen Fernsehund einen Literaturpreis, die jeweils mit viel Theaterzauber vom bayerischen Ministerpräsidenten persönlich zelebriert werden?

Man muss nur den Deutschen Filmball im Bayerischen Hof besuchen, um sich ein Bild von der Bussi-Gesellschaft in ihrer ganzen Pracht zu machen. Ohne Bussis wäre ein solcher Abend fad; selbst einander in herzlicher Abneigung verbundene Filmdiven begrüßen einander mit einem gespitzten Mündchen und einem angedeuteten Küsschen auf die Wangen. Dreht dann Uschi Glas mit ihrem Dieter über die Tanzfläche, drehen sich drei Kamerateams mit.

Veronica Ferres, Maximilian Schell, Verona Pooth, Jan Josef Liefers und Heike Makatsch, sie alle setzen sich perfekt in Szene. Und wenn am Tisch des Produzenten Bernd Eichinger die Schauspieler Moritz Bleibtreu, Nina Hoss und Thomas Kretschmann Platz nehmen, um sich an Kaviar, Zigarren und dem eigenen Ruhm zu erfreuen, sind sie nie alleine. Ein Kameraauge schaut immer hin. Die Lust an der Inszenierung und das Interesse des Publikums halten sich in München die Waage.

In Berlin, das ganz andere Sorgen hat, würde kaum jemand einem Gastronomen Beachtung schenken, der nach einer Geschäftspleite vor den Gläubigern nach Manila flieht. So what. In München war der Fall mehrere Wochen lang Stadtgespräch. Am Beispiel des "Bratwurst-Glöckl"-Wirts Michael Beck, der mit seinem exzessiven Lebensstil, schnellen Autos und prominenten "Freunden" auf sich aufmerksam machte, konnte man studieren, wie diese Stadt ihre Helden sogar noch würdigt, wenn sie sich schon im freien Fall befinden. "Michi" Becks lausbubenhafter Abgang wurde stets mit einem gewissen Augenzwinkern kommentiert.

Gegen amüsante Hochstapler hat in München noch nie jemand etwas gehabt. Der gestrauchelte Börsenzauberer und Yachtbesitzer Thomas Haffa, eine Gestalt wie aus Helmut Dietls Fernsehserie "Kir Royal", verkehrt längst schon wieder in den besseren Kreisen.

Ungewöhnlich war der Fall Rudolph Moshammer. Nach dem Mord an dem Modehändler, der wie kein anderer die Schickeria mit all ihren Schrullen verkörpert hatte, waren die Reaktionen gespalten: Die meisten seiner prominenten Weggefährten gingen vor der Beerdigung auf Tauchstation, um ja nicht mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Tausende von einfachen Münchnern strömten dagegen an jenem kalten Januartag von seiner Boutique in der Maximilianstraße zum Ostfriedhof. In einem beispiellosen Trauerzug nahmen sie Abschied von "Mosi", der im Tod die Größe zeigte, die er sich ersehnt hatte. Moshammers pompöser Sarkophag ist eine Touristenattraktion geblieben, wohl auch aus Mangel an anderen Volkshelden, die Exzentrik mit Pathos mischen.

Was das Münchner Gesellschaftsmilieu einmalig macht, ist die räumliche Enge, der Grad der Vertrautheit der Protagonisten untereinander, auch Spezltum genannt. Beispielsweise kann es bei der Neueröffnung eines großen Feinkosthauses passieren, dass sich die "Society" fast vollständig versammelt: Der Oberbürgermeister genauso wie die Bundestagsabgeordneten und Stadträte, die Granden des FC Bayern, der Landadel, die in München so ungemein redseligen Friseure sowie die in der Hierarchie ebenfalls ganz weit oben stehenden Schönheitschirurgen, Immobilienhändler, Verleger, PR-Frauen, Schlagerkomponisten und Wiesnwirte.

Man kennt sich halt. Nicht nur, weil man denselben Lachshäppchen-Lieferanten beschäftigt. Man besucht die Kochkurse von Alfons Schuhbeck und hat wie Boris Becker seinen Stammplatz in der Schumann`s Bar; man besitzt eine Jahreskarte für das luxuriöse Spa im Bayerischen Hof und verkehrt auf den Golfplätzen im Münchner Süden, auf den Promi-Hügeln vor Kitzbühel und in den reservierten Vip-Boxen auf der Wiesn.

Selbstverständlich gibt es in der Landeshauptstadt auch andere Gesellschaftskreise. Bei den Ausstellungseröffnungen der Kunstmuseen, bei den Theaterpremieren, in den Clubs und auf dem Münchner Filmfest trifft sich ein junges Publikum, das nicht auf Show aus ist. Und die bayerische Wirtschaftselite ist ohnehin eine Klasse für sich. In den Logen der Allianz-Arena sind sie anzutreffen, die Manager und ihre Geschäftsfreunde. Aber Champions League und Staatsoper, Oktoberfest und Champagnerempfang, Tracht und Nadelstreifen, das schließt sich in München nicht aus. Das macht den Reiz dieser Gesellschaft aus.

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