Süddeutsche Zeitung

Schichtl auf dem Oktoberfest:Budenzauber

Seit mehr als 100 Jahren wird beim Schichtl auf dem Oktoberfest geköpft. Obwohl jeder weiß, wie es geht, ist das Zelt stets voll. Warum zum Henker?

Matthias Eberl

Beim Schichtl auf dem Münchner Oktoberfest ist Köpfen Routine. Der Schausteller Michael August Schichtl gründete die Zauberbude im Jahr 1869. Das Varieté-Theater hat die Reichsgründung, die Weimarer Republik und zwei Weltkriege überlebt. Sie ließ sich weder vom Kapitalismus noch vom Fernseh- und Computerzeitalter verdrängen. Der Schichtl trotzt dem Zeitgeist. Dabei dürfte das Konzept nüchtern betrachtet eigentlich nicht aufgehen.

In der Show werden Zaubereien, Tänze und Kuriositäten präsentiert. Höhepunkt ist die Enthauptung einer lebendigen Person mittels Guillotine. Ein Zuschauer wird dabei als Enthauptungsopfer ausgewählt - und dann hebt der Henker das Beil. Die Vorstellungen sind heute noch ausverkauft, obwohl der Trick derselbe ist wie vor 140 Jahren - und so einfach, dass er hier gar nicht verraten werden muss.

Manfred Schauer, seit 1985 der Inhaber vom Schichtl, lockt mit seiner obskuren Truppe rund um Henker Ringo alle zwanzig Minuten zahlreiche Gäste in die Vorstellung. Er weiß, dass er mit Loopings nicht konkurrieren kann. Also versucht er es gar nicht erst. Der Schichtl bietet Emotionen statt Effekte, Mimik statt Maschinen, Ironie statt Investment. Während das Oktoberfest auf Höher, Schneller, Weiter setzt, scheint es viele Menschen zu geben, die das Gegenteil wollen. Der Trick beim Schichtl ist, dass es keinen Trick gibt. Dem Zuschauer wird nichts versprochen, und deswegen werden alle Versprechen gehalten. Obwohl die Darsteller schlecht zaubern, gelingt es ihnen, das Publikum zu verzaubern.

Auf geht's beim Schichtl!

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Quelle:
sueddeutsche.de/Text: Lisa Sonnabend
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