Süddeutsche Zeitung

Schaufenster von Fahrschulen:Bleibt, wie ihr seid!

Lesezeit: 3 min

Die Schaufenster vieler Fahrschulen wirken wie aus der Zeit gefallen. So werden sie zu Archiven eines Lebensgefühls.

Von Stephan Rumpf (Fotos) und Gerhard Matzig (Text)

Wenn man sagt "bleib wie du bist", dann ist das eigentlich das ultimative Kompliment. Der, die oder auch das Angesprochene ist folglich schon perfekt in den Augen des Betrachters - und jede Veränderung wäre daher eine Verschlechterung im Sinne einer Sentenz des österreichischen Moderne-Architekten Adolf Loos (1870-1933), wonach eine Veränderung, die keine Verbesserung darstellt, grundsätzlich als Verschlechterung gelten muss.

Darin steckt eine Kritik am Furor seiner wie auch unserer Zeit, ständig "mit der Zeit zu gehen", also immer irgendwie anders und neu zu sein. Sich permanent zu verändern, nur um der Veränderung willen. Das ist leider dennoch ein Postulat der Gegenwart. Und wer sich dem nicht fügt, wirkt schnell aus der Zeit gefallen, mangelhaft innovativ, gestrig bis vorgestrig, altbacken, antiquiert, rückständig und sonst wie unmodern. Es ist erstaunlich, wie viele negativ besetzte Worte es in der Moderne gibt, um das scheinbar vormoderne Leben sowie die Sehnsucht nach Bestand zu denunzieren.

Andererseits ist die vollkommene Statik, das Unbewegte, Unveränderliche gegen die Natur. Denn alles Leben auf dieser Erde unterliegt der Evolution, grundsätzlich also auch der Veränderung und Anpassung. "Bleib wie du bist": Das ist insofern nicht nur das ultimative Kompliment, sondern auch die ultimative Utopie. Nichts und niemand kann bleiben wie er, sie oder auch es ist. Nichts ist statisch, nichts ist gewiss. Das Universum expandiert seit Anbeginn der Zeiten. Und auch das Sonnensystem, in dem dieser Text entsteht, wird einmal Vergangenheit sein. Zusammen übrigens mit diesem Text, der natürlich trotzdem für die Ewigkeit geschrieben ist. Da mag sich das Archiv der SZ noch so tapfer dagegen wehren.

Die Bilder von sich treu bleibenden Fahrschul-Schaufenstern, über Jahre und Jahrzehnte kaum verändert, die der SZ-Fotograf Stephan Rumpf auf dieser Seite auf staunenswerte Weise versammelt hat, sind übrigens ebenfalls wegen ihrer Tapferkeit zu loben. Sie sind so etwas wie Archive eines bestimmten Lebensgefühls. Eigentlich könnte man unter die wundersam sachlichen Fotografien schreiben: Erkennen Sie den Unterschied? Da ist der scheinbar ewig gleiche, vertikal organisierte Lamellenvorhang. Dennoch liegen viele Jahre dazwischen. Da stehen die scheinbar ewig gleichen Modelle von Autos und Motorrädern im Schaufenster. Und natürlich ein paar Verkehrszeichen, die einen daran erinnern, wie man vor Jahrzehnten, die einem bald vorkommen wie Jahrhunderte, auf harten Stühlen saß, um sich die korrekte Antwort auf Fragen wie diese eintrichtern zu lassen: "Welcher Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug soll außerhalb geschlossener Ortschaften in der Regel mindestens eingehalten werden?" Na? Es ist, wenn die Erinnerung nicht trügt, die Hälfte der Tachoanzeige in Metern. Oder so.

Egal ist das zwar nicht, aber hier geht es eher darum, dass die Bilder nicht nur Fakten präsentieren, sondern einen ganzen Kosmos an Gefühlen und Geschichten umfassen. Vielleicht, weil es damals, wenn man im späten 20. Jahrhundert endlich seinen Führerschein erhalten hat, gerne noch in Form eines seltsam grauwelken Lappens, so ein besonderes Gefühl von Aufbruch und Freiheit war. Nun war man mobil - und bereit, die Welt zu erobern. Zum Beispiel mit dem Peugeot 304 (mit Schiebedach), den man als die wahre erste Liebe in Erinnerung hat. Man kam dann aber doch nur bis zum Brenner, wo die erste Liebe erst mal liegen blieb. Der Vergaser.

Vielleicht sind die Bilder von Stephan Rumpf ja auch deshalb so eindringlich, weil sie nicht nur an das Büffeln erinnern und an die scheinbar so unendlichen wie unmöglichen Versuche, das Gas langsam kommen zu lassen und den Schulterblick nicht zu vergessen; sondern sie erinnern auch an eine Ära, da Mobilität noch etwas mit einem Glücksversprechen zu tun hatte, statt mit Feinstaub, Diesel-Skandal oder Stau-Irrsinn. Deshalb sind die Bilder, die davon erzählen, dass sich manchmal auch gar nichts verändern muss im Leben, auch ein Trost.

Doch wie heißt es im berühmten Roman "Der Leopard" so wahr? "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muß sich alles ändern." Dass sich ausgerechnet Fahrschulen, die das Unterwegssein lehren, diesem Satz so selbstvergessen entgegenstellen, hat etwas Berührendes.

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Quelle:
SZ vom 22.08.2018
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