Süddeutsche Zeitung

Rotes Kreuz:Rettungssanitäter ziehen wegen Überstunden vor Gericht

Lesezeit: 2 min

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Unsere derzeitige Arbeitssituation ist so drastisch, dass ich mir nicht mehr als Mensch oder Mitarbeiter vorkomme, sondern eher als Roboter." Bei dem Rettungssanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), der das sagt, und seinen Kollegen gärt es: Sozusagen als Speerspitze haben fünf von ihnen nun Klage beim Arbeitsgericht München eingereicht. Vier der Fälle wurden am Dienstag verhandelt.

Wie kürzlich bei den Münchner Feuerwehrleuten, die ebenfalls vor Gericht gegangen waren, geht es auch bei den Rot-Kreuz-Sanitätern um einen finanziellen Ausgleich für zu lange Arbeitszeiten.

Jeder Streit vor dem Arbeitsgericht beginnt mit dem Versuch, die Auseinandersetzung gütlich beizulegen. Doch der Anwalt des BRK schlug gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung einen Pfosten ein: Es werde aus seiner Sicht keine gütliche Einigung geben, ließ er ohne Umschweife den Richter wissen.

"Um Gotteswillen", entfuhr es dem, "warum denn nicht?" Für Klägeranwalt Sebastian Böhm kam die harte Haltung dagegen nicht überraschend. Schon in wenigen Minuten solle in einem anderen Sitzungssaal über ähnliche Klagen von drei weiteren Mandanten verhandelt werden, erklärte der Fachanwalt für Arbeitsrecht dem Richter.

Und zur selben Stunde säßen außerdem Vertreter des BRK und der Gewerkschaft Verdi zu Verhandlungen über einen neuen Manteltarif zusammen - derzeit offenbar ohne Aussicht auf eine schnelle Einigung. BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärke hatte schon im Vorfeld der Presse gesagt, dass er sogar mit Streiks rechne.

Grund für das gespannte Verhältnis soll nicht zuletzt ein um rund zehn Millionen Euro geringeres Budget sein, als es der Verband benötige. Da kommen die Forderungen von Verdi nach einer Begrenzung der Überstunden und voller Bezahlung der Arbeitsbereitschaft natürlich nicht gut an.

Die Gewerkschaft hatte Ende 2014 den Manteltarifvertrag für die rund 22 000 BRK-Angestellten gekündigt.

60 statt 38,5 Stunden in der Woche

Einer der Kläger fasst zusammen, wie er die Lage sieht: Statt der vertraglich festgelegten 38,5-Stunden-Woche seien Dienstpläne mit bis zu 60 Stunden Arbeitsanwesenheit die Regel; Zuschläge und Urlaubsansprüche würden nicht korrekt abgerechnet, Feiertagsarbeit "vergessen". Praktisch jeder mit Schichtdiensten sei davon betroffen.

Im Detail ist es sehr kompliziert, was dem Gericht an schriftlichen Klageforderungen vorgelegt worden ist. Es geht um sehr viele Einzelposten, die sich allein bei einem der Kläger als Nachforderung für vier Jahre auf mehr als 1000 Stunden und mehr als 20 000 Euro summieren. Für alle fünf Kläger geht es zusammen um einen sechsstelligen Betrag.

Der Richter hat deshalb vorgeschlagen, dass angesichts der komplexen Rechtsfragen alle Klagen zusammengefasst und sozusagen am runden Tisch unter der Moderation von zwei Güterichtern erörtert werden sollten. Dazu sollten auch alle fünf Klageverfahren zusammengefasst werden.

Das traf bei dem Prozessvertreter des BRK zunächst nicht auf Zustimmung: Der Landesverband wolle es "streitig" geklärt wissen, sagte er. Klägeranwalt Böhm versicherte, dass seine Mandanten nach wie vor loyal zum Roten Kreuz stünden und Idealisten seien.

In den Jahren habe sich aber viel Frust aufgestaut - "das muss jetzt mal geklärt werden".

Der SZ sagte Böhm nach der Verhandlung, dass das Bayerische Rote Kreuz massiv gegen die Kläger vorgehe - sie sähen sich durch individuelle Maßnahmen einem erheblichen Druck ausgesetzt.

Die Betroffenen selbst äußern sich nicht und verweisen auf eine Verdi-Umfrage unter 2500 BRK-Mitarbeitern: Fast 90 Prozent bewerten ihren Arbeitsalltag als "belastend" - über ein Fünftel gebe an, dass er "sehr stark belastend" sei.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Botschaften werden inzwischen schon über Facebook ausgetauscht: "Gehaltssteigerung hättet ihr schon lange, wenn wir nicht so lange über den unnötigerweise gekündigten Manteltarifvertrag streiten müssten", verkündete etwa BRK-Verhandlungsführer Leonhard Stärk.

Angeblich wollen die Tarif-Kontrahenten nun auf Ergebnisse in den Arbeitsgerichtsprozessen warten. "Das ist Quatsch", machte der Richter gleich deutlich, "das dauert zu lange." Außerdem könne das Gericht keine Grundsatzfragen des Tarifvertrages klären.

Immerhin konnten sich Kläger und Beklagte dann doch noch auf einen kleinen gemeinsamen Nenner einigen: Sie wollen bis Ende August über die vom Gericht vorgeschlagene Güterichtersitzung zumindest nachdenken.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2015
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