Süddeutsche Zeitung

Reservierungen:Ohne Reservierung wird ein Kneipenbesuch zum Nervenkitzel

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Denn spontane Gäste kommen ja kaum noch in eine Bar hinein. Aber das kann dem Abend auch ungeahnte Wendungen geben.

Von Philipp Crone

Eine leere Bar, jeder Tisch blitzblank bis auf eine winzige weiße Papierpyramide mit der Aufschrift: reserviert. Da kann man sich im Land der Handtuchausleger schon mal ärgern. Warum eigentlich?

Mitunter greifen Besucher ja zu drastischen Mitteln, wenn sie nach langer Suche eine schöne Bar und nach einem Durchlauf sogar einen freien Tisch gefunden haben, und dann: Pyramide. Am besten noch mit der Aufschrift: Manfred, 20.30 Uhr, und Manfred ist um 20.47 noch weit und breit nicht zu sehen. Manch einer kommt da auf die unglaublich neue und schlaue Idee, die Schildchen einfach vom Tisch zu nehmen und sich hinzusetzen.

Wobei im 21. Jahrhundert der Livrierte nur einmal kurz auf seinen Sitzplan im iPad schaut und den Gast dann höflich bittet, doch an die Bar zu gehen. Also, warum ärgert einen das so? Es macht schlicht wütend, dem Ziel so nah zu sein und es doch nicht zu erreichen. Vielleicht sogar noch blöd dazustehen, weil man voller Freude quer durch den Raum zum Tisch geeilt ist, um den anderen stolz den eroberten Platz zu präsentieren. Selbst die milde Betrugsvariante, das Schildchen von dem angenehmen Ecktisch auf den unangenehmen Gang-Tisch zu stellen, wird meistens von der Barpolizei erfasst und unterbunden.

Neulich allerdings die umgekehrte Variante: Tisch für acht Personen reserviert, 20 Uhr. Um 20 Uhr einsam am Großtisch, von da an unermüdlicher Verteidiger von acht Stühlen, unterstützt vom Personal, "müssen echt gleich kommen", und erst nach eineinhalb Stunden dann der entschiedene Blick: Sorry, jetzt geht's nicht mehr, der Bar sind schon mindestens zehn Getränke und fünf Speisen entgangen in der Zeit.

Andererseits, was ist das für eine Ödnis, die den Reservierer beim Weggehen umgibt. Kein Hauch von Nervenkitzel, ob man da noch einen Platz bekommt, sich vielleicht irgendwo dazu setzen kann und am Ende gar, dem ehemals ursprünglichen Sinn des Ausgehens entsprechend, neue Menschen kennenlernt. Armer Manfred.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2016
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