Süddeutsche Zeitung

Debatte um Flüchtlinge:Ehetherapie im Rathaus

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Wochenlang lagen Oberbürgermeister Dieter Reiter und sein Stellvertreter Josef Schmid im Streit. Nach einer therapeutischen Sitzung läuft es nun besser. Aber wie lange?

Eine Kolumne von Heiner Effern

Um einen Streit beizulegen, muss man zuvor einen ausgetragen haben. Das klingt banal, doch bei genauerer Betrachtung wird man einräumen müssen, dass die Welt so einfach nicht gestrickt ist. Jedenfalls die politische. Denn dort wird eine Beziehungskrise zwar manches Mal öffentlich ausgelebt, aber deshalb noch lange nicht öffentlich eingestanden. Da piesacken sich zwei mehr oder minder offensichtlich, aber Streit? Woher denn.

Insofern ist es schon beachtenswert, dass Bürgermeister Josef Schmid (CSU) nun erklärt: "Der Streit ist beigelegt." Und zwar deshalb, weil es in seinem Konflikt mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Kern nicht um politische Positionen ging, sondern um persönliche Verletzungen. Den Anfang nahm die Beziehungskrise der beiden im August. Reiter weilte im Urlaub an der Nordsee, als Schmid im Rathaus ein meinungsstarkes Interview zur Flüchtlingssituation gab.

Das fasste der Oberbürgermeister als Vertrauensbruch auf. Er schlug zurück, indem er Schmid der politischen Zündelei bezichtigte. Der gewöhnlich am rechten Rand benützte Begriff musste Schmid, der so großen Wert auf seinen Status als "liberaler" CSU-Vertreter legt, kränken. Die Atmosphäre war vergiftet, immer wieder gingen Spitzen hin und her. Noch am Montag stichelte Schmid, Reiter und seine Parteifreunde seien Lagerfeuer-Romantiker im euphorischen Rausch, weil sie unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen möchten.

Am Dienstagabend folgte dann die therapeutische Sitzung, die das Verhältnis der beiden wieder ins Lot bringen sollte. Alleine waren sie dazu offenbar nicht in der Lage, auch die Fraktions- und Parteichefs nahmen teil. Immerhin soll sie laut Schmid erfolgreich gewesen sein, Reiter äußerte sich nicht.

Bei der Vollversammlung des Stadtrats am Mittwoch saßen die beiden nun als Oberbürgermeister und erster Stellvertreter gezwungenermaßen nebeneinander, die Sitzordnung schreibt das so vor. Und tatsächlich waren erste therapeutische Erfolge erkennbar, gar ein Scherz und gemeinsames Lachen. Ob das so bleibt, wird die Zeit weisen. Möglicherweise gibt Josef Schmid ja in den Weihnachtsferien ein Interview zum überraschend großen Haushaltsloch der Stadt.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2015
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