Süddeutsche Zeitung

Reichenbachbrücke:Obdachlosenlager in Brand gesetzt

Lesezeit: 2 min

Vier Männer konnten sich retten, ihre Schlafstätte brannte komplett ab. Nun sucht die Polizei nach Zeugen.

Von Thomas Anlauf und Martin Bernstein

Zwei Männer haben in der Nacht zum Donnerstag einen Brandanschlag auf ein Obdachlosenlager unter der Reichenbachbrücke verübt. Die vier Wohnsitzlosen, die sich an der Isar zum Schlafen gelegt hatten, konnten unverletzt entkommen und mussten zuschauen, wie die beiden Unbekannten ihre wenigen Habseligkeiten abfackelten.

Jetzt fahndet das Brandkommissariat der Kriminalpolizei (Telefon 089/29100) nach den Tätern; auch die Mordkommission könnte sich einschalten. Denn möglicherweise handelt es sich um ein versuchtes Tötungsdelikt.

Mehrere Passanten riefen Feuerwehr und Polizei

Ein 33-Jähriger aus Karlsruhe wurde Zeuge des Überfalls, als er auf einer Bank an der Isar saß. Gegen ein Uhr nachts hatte der Tourist einen lauten Knall gehört und gesehen, dass es unter der Reichenbachbrücke brannte. Es folgten weitere Knallgeräusche. Binnen Sekunden stand das Obdachlosenlager in Flammen. Mehrere Passanten riefen Feuerwehr und Polizei. Doch um den Anschlag zu verhindern, war es zu spät.

Aus dem Lager konnten sich vier Männer im Alter zwischen 24 und 53 Jahren ins Freie retten. Drei der aus Bulgarien stammenden Opfer des Anschlags blieben unverletzt, während ihr Lager vollständig abbrannte, ein Mann soll eine leichte Rauchgasvergiftung erlitten haben. Ein Zeuge beobachtete zwei Männer, die in unmittelbarer Nähe des Feuers standen. Einer hielt einen brennenden Gegenstand in der Hand. Die beiden warfen auch nach der Flucht der Obdachlosen diverse Gegenstände in die Flammen. Die beiden mutmaßlichen Brandstifter sollen etwa 25 Jahre alt sein. Einer der beiden trug eine dunkle Kapuzenjacke, der andere einen Trainingsanzug oder Sportbekleidung und eine ausgewaschene, hellblaue Trainingsjacke. Parolen oder Beleidigungen riefen sie nach Angaben eines Polizeisprechers während der Tat offenbar nicht.

Flammen und Hitze waren so stark, dass der Beton von der Brücke abplatzte. Die Tragfähigkeit der Reichenbachbrücke wurde mittlerweile von einem Bauingenieur geprüft und ist nach Polizeiangaben nicht beeinträchtigt. Der entstandene Schaden am Bauwerk wird auf rund 25 000 Euro geschätzt. Jetzt sucht die Münchner Polizei weitere Zeugen des nächtlichen Überfalls.

Auch dieser Fall sorgte für Schlagzeilen

Am Donnerstagnachmittag gingen die polizeilichen Ermittlungen am Tatort weiter. Erst im vergangenen November war ein schlafender Obdachloser in München Ziel eines Brandanschlags geworden. Die Tat ereignete sich in der Nacht zum 2. November gegen 0.50 Uhr auf dem S-Bahnsteig des Hauptbahnhofs. Die beiden 25 und 29 Jahre alten Täter knipsten Selfies mit ihrem schlafenden Opfer, dann zündeten sie eine Plastiktüte an, die direkt neben ihm stand. Sie schauten zu, bis die Flammen etwa einen halben Meter hoch schlugen, danach flohen sie mit der S-Bahn.

Der 51 Jahre alte Obdachlose wurde im letzten Moment von Passanten gerettet, bevor die Flammen auf ihn übergriffen. Mit Hilfe von Videoaufnahmen gelang es der Polizei, die beiden Täter zu ermitteln und festzunehmen. Sie hätten aus "Jux und Tollerei" gehandelt hätten, behaupteten sie in ihrer Vernehmung. Der Münchner Fall hatte Schlagzeilen gemacht - nicht zuletzt wegen einer ähnlichen Tat in Berlin knapp ein Jahr zuvor. In der Weihnachtsnacht 2016 hatte ein 21-Jähriger im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße die Kopfunterlage eines schlafenden Obdachlosen angezündet.

Etwa 9000 Menschen sind in München ohne eigene Wohnung, mindestens 550 von ihnen leben auf der Straße. Unter ihnen sind viele Armutsmigranten, die - wie die Opfer des Brandanschlags an der Reichenbachbrücke - aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland kommen und sich hier als billige Arbeitskräfte verdingen. Im November 2016 waren bei einem vermutlich absichtlich gelegten Feuer in einem überwiegend von Armutsmigranten bewohnten Wohnhaus in der Dachauer Straße ein aus Bulgarien stammender Mann und seine beiden Töchter getötet worden. Im Januar 2017 wurde eine 54-jährige Bulgarin Opfer eines Brandes, als in der Oberländerstraße in einer Unterkunft für bulgarische Wanderarbeiter ein gasbetriebener Wärmestrahler Feuer fing.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3932594
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05. April 2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.