Süddeutsche Zeitung

Prozess am Amtsgericht:Das falsche Attest

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Ein Mann erhält von einem Arzt, den er nie gesehen hat, ein Attest, das ihn von der Maskenpflicht befreit. Als er von der Polizei kontrolliert wird, gibt er das auch zu. Aber hat er sich damit auch strafbar gemacht?

Von Stephan Handel

Seit die Maskenpflicht in vielen öffentlichen Bereichen eingeführt worden ist, gibt es immer wieder Ärzte, die aus Gefälligkeit Atteste ausstellen, in denen den Besitzern bescheinigt wird, sie könnten aus medizinischen Gründen keine Maske tragen und seien deshalb davon befreit. Manchmal geschieht das wie am Fließband und sogar ohne richtige Untersuchung durch den Arzt. Der macht sich dadurch meistens nach Paragraph 278 des Strafgesetzbuches schuldig, das "Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse". Derjenige aber, der solche Atteste verwendet - macht auch der sich strafbar? Nicht unbedingt, wie ein Fall zeigt, der jetzt am Amtsgericht verhandelt wurde.

Ein Mann, der jetzige Angeklagte, war im November des vergangenen Jahres am Ostbahnhof von zwei Polizisten kontrolliert worden, weil er keine Maske trug. Daraufhin zeigte er ein Befreiungs-Attest vor und gab an, das Attest für 17 Euro gekauft zu haben, ohne jemals in der ausstellenden Praxis gewesen zu sein. Das brachte ihm das Verfahren wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse ein.

Vor Gericht sagte der Angeklagte, der Arzt sei ihm von einem Bekannten empfohlen worden. Er habe ihn per Mail kontaktiert und das Attest daraufhin mit der Post erhalten. Er habe dann nochmals in der Praxis angerufen: "Ich habe mit der Assistentin gesprochen, die das ausgestellt hat, und habe mir versichern lassen, dass das in Ordnung ist. Ich habe der Praxis vertraut."

Die beiden Polizisten vom Ostbahnhof hatten ausgesagt, der Mann habe bei der Kontrolle zugegeben, dass er seine persönlichen Daten in das Attest-Formular selbst eingetragen habe. Dazu wurde dann aber der Beamte befragt, der die Ermittlungen gegen die Arztpraxis führt - dort sollen rund 4700 falsche Atteste ausgestellt worden sein. Er sagte: "Die meisten Atteste wurden via E-Mail beantragt. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass es zu keiner Begutachtung kam. Das Attest des Angeklagten wurde von der Assistentin des Arztes ausgestellt. In vielen Fällen gibt es den Nachweis, dass der Arzt einfach Atteste ausgab. Über viele wusste er wohl nichts."

Der Strafrichter meinte in seinem Urteil, die Tatbegehung sei dem Angeklagten "mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit nicht nachzuweisen". Der gegen den Arzt ermittelnde Polizeibeamte habe ausgesagt, er habe sehr viele dieser falschen Atteste gesehen, für ihn scheine es so, dass die handschriftlichen Eintragungen auf dem Attest von einer Mitarbeiterin der Praxis stammten. Aus dem E-Mail-Verkehr zwischen dem Angeklagten und der Praxis ergebe sich, dass der Angeklagte tatsächlich ein Attest zur Maskenbefreiung anforderte und dabei angab, dass er unter Hautirritationen, gelegentlicher Atemnot und Kopfschmerzen leide. "Insofern war dem Angeklagten zumindest kein Vorsatz nachzuweisen, dass es sich hier um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis handelte." Die Folge: ein Freispruch, das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.

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