Süddeutsche Zeitung

Prozess in München:Schmerzen statt Falten

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Sie ließ in einem Lehrfilm für Ärzte ein neues Präparat zur Falten-Behandlung an sich vorführen. Seitdem leidet Schauspielerin Sylvie Engelmann an den Folgen - und verklagt nun den Pharmakonzern.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ihre Hauptrolle in einem Lehrfilm für Ärzte ist der Münchner Bühnenkünstlerin Sylvie Engelmann zum Verhängnis geworden. Die heute 56-Jährige wurde im Mai 2010 im Rahmen eines Castings bei einer Münchner Filmproduktionsfirma gebucht. Auftraggeber war eine Tochtergesellschaft des Pharmakonzerns Merz. In diesem Film sollte Medizinern gezeigt werden, wie sie mit dem damals neuartigen Algen-Gel "Novabel" Gesichtsfalten richtig unterspritzen.

Seither leidet die Künstlerin im Bereich Augen und Nase unter "brettharten Knötchen" sowie schmerzhaften Schwellungen. Diese Entstellungen, die nur schwer zu behandeln sind, führt sie auf die "Novabel"-Injektionen zurück. Der Konzern bestreitet das, hatte aber das Präparat schon bald nach seiner Einführung wieder vom Markt genommen. Nun muss sich das Landgericht München I mit dem ungewöhnlichen Fall befassen.

Patienten fordern 200 000 Euro Schadensersatz

Rechtsanwalt Michael Scheele wirft in dem Verfahren dem Konzern vor, schon damals von schwerwiegenden Komplikationen gewusst zu haben: In Spanien sei Merz bereits 2009 mit Schadensersatzforderungen von "Novabel-Opfern" konfrontiert gewesen, über die auch in der spanischen Presse berichtet worden sei. Scheele vermutet, die Firma sei damals noch davon ausgegangen, dass die Nebenwirkungen nicht auf das Präparat, sondern auf eine unsachgemäße Anwendung durch die Ärzte zurückzuführen sei. Deshalb sei das Lehrvideo in Auftrag gegeben worden.

Die Anwälte von Merz bestreiten die Vorwürfe nachdrücklich: "Zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens galt das Produkt als sicheres Mittel" - Merz habe da die angebliche Fehlerhaftigkeit nicht erkennen können. Die Vertragsbeziehungen mit Sylvie Engelmann hätten ohnehin nicht mit Merz, sondern mit der Filmproduktion bestanden. Im Übrigen sei die Darstellerin vor der ärztlichen Behandlung vorschriftsgemäß aufgeklärt worden und habe eingewilligt. Im Juli 2010 sei das Mittel dann freiwillig und vorsorglich vom Markt genommen worden. "Eine behördliche Verpflichtung zum Verkaufsstopp bestand nicht", heißt es in der Klageerwiderung.

Rechtsanwalt Scheele sagt nun, dass die spanischen Patienten schon damals jeweils rund 200 000 Euro Schadensersatz gefordert hätten. Die betroffene Merz-Tochter habe daraufhin mit ihnen Zahlungen vereinbart, sie aber gleichzeitig zum Stillschweigen verpflichtet. Der Münchner Jurist schildert auch, dass einige Mediziner schon frühzeitig gewarnt hätten, dass es keine Behandlungsmöglichkeiten für Komplikationen bei diesem neuartigen "Dermal Filler" gebe.

"Dringenden Sicherheitsinformation"

Das Algen-Präparat sollte damals die den Markt bei solchen Schönheitseingriffen dominierende Substanz Hyaluronsäure ablösen, hatte sich Merz erhofft. Die Pharmafirma schickte dann im Juli 2010 eine "dringenden Sicherheitsinformation" wegen des Präparats an die Ärzte: Man wolle erst "Reaktionen besser verstehen und effektive Behandlungsoptionen für diese Umstände bereitstellen", bevor "Novabel" wieder auf den Markt komme.

Schon sieben Eingriffe in der dermatologischen Uniklinik habe sie bereits über sich ergehen lassen müsse, sagt heute Sylvie Engelmann. "Ebenso viele weitere drohen und der Ausgang, sämtliche Nebenwirkungen zu beseitigen, ist ungewiss." Jeden Morgen wache sie in der Angst auf, dass sich die Granulome wieder entzündet haben könnten. Aus Panik vor weiteren Entstellungen ihres Gesichtes, gehe sie seit Jahren zur Psychotherapie.

Sie sucht auch Kontakt zu Leidensgenossinnen der "Novabel"-Behandlung. Die Konzernanwälte meinen dagegen, dass ihr Leiden auf frühere Faltenbehandlungen, bakterielle oder virale Infektionen zurückzuführen sein könnten. Den Termin für die mündliche Verhandlung des Falls haben die Richter der Medizinrechtskammer noch nicht festgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2014
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