Süddeutsche Zeitung

Prozess:FC-Bayern-Erpresser vor Gericht: "Ich bin der allergrößte Idiot auf der Welt"

Lesezeit: 2 min

Von Susi Wimmer

Fast sieht er aus wie das französische Musketier D'Artagnan: Wallendes Lockenhaar, ovaler Bart um den Mund, der Hemdkragen steht offen. Betont lässig und leger erscheint Harald Zirngibl am Montag vor Gericht. Der zweite Verhandlungstag allerdings fördert wenig Heroisches über den 64-Jährigen zutage, der in den Neunzigern als "Besenstielräuber" traurige Bekanntheit erlangt hatte.

Das Gericht verliest Briefe aus der Untersuchungshaft, in denen Zirngibl sich reumütig, aber auch äußerst selbstmitleidig zeigt. Er schreibt auch von "Gedächtnisaussetzern" und unbewussten nächtlichen Handlungen, "die mir später leid tun". An seiner Schuldfähigkeit aber lässt das den psychiatrischen Gutachter nicht zweifeln. Zirngibl wird sich verantworten müssen, weil er Anfang des Jahres den FC Bayern erpressen wollte.

Was wäre wenn? Mit dieser Frage scheint der Angeklagte sein Leben lang zu hadern. Was wäre, wenn er nicht bei einem Autokauf gelinkt worden wäre? Was, wenn er einem Freund nicht 7000 Euro für ein Würstchen-Geschäft im Ausland geliehen hätte? Was, wenn er nicht um seine Rente gebracht worden wäre? So schreibt er in seinen Briefen aus dem Gefängnis an einen Freund und an seine Lebensgefährtin, jetzt Ex-Lebensgefährtin. "Ich bin der allergrößte Idiot auf der Welt", lässt er etwa die vermutlich völlig ahnungslos gewesene Frau wissen, die er in das Verbrechen hineingezogen hatte. "Wir hätten ein kuschliges Leben führen können, wenn mich diese verrückte Idee nicht gepackt hätte."

Was wäre wenn? Tatsächlich wäre die versuchte Erpressung um ein Haar im Keim erstickt worden. Denn der Brief, den Zirngibl Anfang des Jahres an den FC Bayern geschickt hatte, landete zuerst bei der Sekretärin. Und die nahm das Schreiben anfangs nicht sonderlich ernst. Es enthielt eine lange Liste mit Forderungen: diverse Diamanten und deren Stückelung, dazu Bargeld, alles in allem im Wert von drei Millionen Euro. Sollte der FC Bayern nicht bezahlen, könnte den Spielern etwas passieren, oder den Zuschauern. Verspätet zeigte sie den seltsamen Brief dem Vorstand, sodass der Verein erst zwei Tage nach Erhalt des Schreibens die Polizei einschaltete. "Ich hätte die Drohungen nie in die Tat umgesetzt", versichert Harald Zirngibl vor Gericht - und auch in einem Entschuldigungsbrief an den FC Bayern.

Tagelange und pannenreiche Schnitzeljagd durch Oberbayern

Die Geldübergabe glich einer tagelangen Schnitzeljagd durch Oberbayern und war gezeichnet von Pannen. Eine Übergabe etwa scheiterte, weil das vereinbarte Café geschlossen hatte. So ging es vom Ammersee nach Dachau, zum Kloster Andechs und schließlich nach Mainburg. Zirngibls Lebensgefährtin, so erzählte ein Polizist, der die Frau befragt hatte, hätte an den Ausflügen nichts Ungewöhnliches bemerkt. Offenbar hantierte er des Öfteren mit mehreren Handys und tippte heimlich Nachrichten. Deshalb wollte die Lebensgefährtin auch dabei sein. Sie hatte Angst, dass sich Zirngibl mit anderen Frauen traf. Stattdessen wurde sie auf einem Parkplatz zusammen mit ihm festgenommen.

Was wäre, wenn Zirngibl in den Neunzigerjahren nicht 16 Banken überfallen hätte? Fünf Millionen Mark erbeutete er damals, verprasste das ganze Geld, saß neun Jahre in Haft. Nach seiner Entlassung versuchte er sich erfolglos als Dildo-Künstler, fand aber dann eine Arbeit als Staplerfahrer bei BMW. Nach zwei Jahren allerdings kündigte er aus gesundheitlichen Gründen, er habe die Wechselschicht nicht verkraftet. Zirngibl war wieder arbeitslos, lebte mit seiner Freundin in seiner Drei-Zimmer-Eigentumswohnung in Olching, und als das Arbeitslosengeld auslief, habe er sich "geschämt, Hartz IV zu beantragen". So kam er auf die Idee mit dem FC Bayern.

Gutachter Cornelis Stadtland attestierte Zirngibl ein geplantes Handeln in mehreren Schritten. Rein aus der Aktenlage, dem Auftreten vor Gericht sowie aus den Briefen könne er keine Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung ableiten. Eine persönliche Untersuchung lehnte Zirngibl ab.

Das Urteil soll noch in dieser Woche fallen. Der Vorsitzende Richter Philipp Stoll zog am Montag auch eine Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Betracht, da Zirngibl in seinem Wagen Kabelbinder sowie ein Teppichmesser dabei hatte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3301683
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.12.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.