Süddeutsche Zeitung

Prozess:Einbrecherbande schickte Kinder zum Klauen vor

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Von Christian Rost, München

"Die Kinder müssen die Drecksarbeit machen." Der Münchner Jugendrichter Christian Gassner nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die Vorgehensweise einer international agierenden Einbrecherbande beschreibt. Die Familienoberhäupter des Clans schicken ihre Söhne, Töchter, Enkel, Nichten und Neffen zum Einbrechen, während sie sich selbst im Hintergrund nicht die Finger schmutzig machen und die Beute einkassieren.

Nun aber hat die Justiz eine mutmaßliche Drahtzieherin erwischt. Seit diesem Montag sitzt Veselinka R. auf der Anklagebank vor der 19. Strafkammer am Landgericht München I. Die 50-Jährige soll als Chefin des Clans ihre Nachkommen im Frühjahr 2013 auf Einbruchstour ins Lehel geschickt haben. Dabei traf es auch einen Prominenten: Ex-FC-Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt.

Enkel und Nichte mussten wohl in besseren Gegenden Münchens losziehen

Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, zusammen mit ihrem Ehemann Zoran R. ihren Enkel und ihre Nichte angewiesen zu haben, als Einbrecherteam in besseren Gegenden der Landeshauptstadt loszuziehen. Laut Anklage sucht die Bande stets jüngere Familienmitglieder für die Begehung solcher Taten in verschiedenen Ländern aus.

Werden sie erwischt, sollen sie bei der Polizei falsche Ausweispapiere vorzeigen und ein falsches Alter angeben, um als strafunmündige Kinder einer Verurteilung zu entgehen. In diesem Fall klappte das nicht: Die Nichte Sofija. L. und der Enkel Niko M. wurden nach zehn Einbrüchen im Lehel festgenommen und saßen sieben Monate in Untersuchungshaft. Im Januar 2014 verurteilte sie das Jugendschöffengericht unter dem Vorsitz von Christian Gassner zu Bewährungsstrafen mit der Auflage, Deutschland verlassen zu müssen.

Auch diese beiden Angeklagten hatten angegeben, noch Kinder zu sein. Gassner aber ließ vom Institut für Rechtsmedizin Altersgutachten erstellen, wobei sich zeigte, dass Sofija L. zur Tatzeit mindestens 17 Jahre alt war und Niko M. mindestens 15 Jahre. In seinem Urteil berücksichtigte das Gericht, dass sie von ihren Verwandten zu den Straftaten gezwungen worden waren: "Sie waren Teil eines Räderwerks", so Gassner.

Der Wert ihrer Beute belief sich auf 352 000 Euro

Sollte sich am Ende des Prozesses gegen Veselinka R. am Landgericht herausstellen, dass sie tatsächlich die Fäden im Hintergrund gezogen hat, droht ihr wegen bandenmäßigen Wohnungseinbruchsdiebstahls eine empfindliche Haftstrafe, wie die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl am ersten Verhandlungstag klarstellte.

Die Angeklagte äußerte sich bisher jedoch nicht zu den Vorwürfen und machte auch keine Angaben zu ihrem persönlichen Hintergrund. Sie saß still und weinend auf ihrem Platz, als Richter Gassner im Zeugenstand vom Verfahren gegen die Nichte und den Enkel der Angeklagten berichtete.

Die Jugendlichen hatten von März bis Juni 2013 bei ihren Einbrüchen im Lehel einen beträchtlichen Schaden angerichtet. Der Wert ihrer Beute belief sich auf 352 000 Euro. Sie stahlen in acht Wohnungen Bargeld und Schmuck, nahmen Pelzmäntel und ganze Tresore mit. Bei zwei Wohnungen scheiterten sie an gut gesicherten Türen. In die Wohnung von Müller-Wohlfahrt brachen sie in der Nacht zu einem Montag, dem 20. Mai 2013, ein.

Wie bei den anderen Taten auch, klingelten sie zunächst, um zu prüfen, ob jemand zu Hause ist. Dann hebelten sie die Eingangstüre gewaltsam mit einem Schraubendreher auf. Neben einem Laptop und einem Louis-Vuitton-Gürtel nahmen sie einen Würfeltresor aus der Wohnung mit, in dem sich 36 Schmuckstücke im Gesamtwert von rund 168 000 Euro befanden. Im Prozess gegen Veselinka R. sind noch sechs Verhandlungstage angesetzt.

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SZ vom 26.01.2016
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