Süddeutsche Zeitung

Projekt der Poesieboten:Der Tod irrt durch Giesing

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Bei einem Theaterspaziergang wird aus dem "Jedermann" der "Jedamo". Den sucht der Sensenmann auch dort, wo einst das Uhrmacherhäusl stand

Von Ilona Gerdom, Giesing

Hinter der goldenen Wand, der Rückseite des Kaufhauses Woolworth in Giesing, spielt die "Kyesinga Festspiel Musi" Wirtshausmusik. Um die Band herum haben sich eine ganze Menge Menschen versammelt. Manche sind verkleidet. Da ist zum Beispiel ein Mann mit Totenkopfmaske auf dem Gesicht und Sense in der Hand. Offensichtlich verkörpert er an diesem Sonntag den Tod. Und er sucht sein nächstes Opfer: den "Jedamo" - oder auf hochdeutsch: den Jedermann. Der Sensenmann irrt durch die Zuschauerinnen und Zuschauer, guckt ihnen in die Gesichter, rüttelt vorsichtig an der Schulter, fragt immer wieder: "Bist du der Jedamo?" Erst hat er keinen Erfolg, aber der Tod lässt sich so leicht nicht abbringen. Bei seiner Mission kann man ihn und die anderen Schauspieler der "Poesieboten", die das Stück inszenieren, auf dem Theaterspaziergang durch die Feldmüllersiedlung begleiten.

Der erste Halt hat zunächst recht wenig mit dem Theaterklassiker "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal zu tun. Aber heute handelt es sich ja auch nicht um das Original. Stattdessen hat Hans Senninger eine bayerische Version geschrieben. Genauer ist es eigentlich ein Münchner beziehungsweise Giesinger Stück, in dem auch aktuelle Themen Platz finden. Das zeigt schon der erste Stopp. Er ist an der Oberen Grasstraße 1, also da, wo früher das Uhrmacherhäusl gestanden hatte, bevor es illegal abgerissen wurde. Das Thema der ersten Viertelstunde ist klar: Immobilienspekulation. Um etwas Spannung reinzubringen, dürfen die Zuschauenden selbst aktiv werden und das Grundstück ersteigern. An diesem Sonntag geht es für fiktive sechs Millionen Euro weg.

An der Ecke Aigner- und Hefnerstraße ist es dann endlich so weit: In einem grauen Anzug mit blau-goldener Weste steht dort der Jedamo und wird von einem armen Mann um Geld gebeten. Das bekommt er von Markus Hangen, der den Protagonisten des Stücks darstellt, aber nicht. Mit jeder Spielstation wird deutlicher: Der Jedamo hat viel Geld, aber keinen liebenswürdigen Charakter. Als ihn der Tod an der Heilig-Kreuz-Kirche schließlich doch stellt, muss der vermögende Mann einsehen, dass er eigentlich ganz allein ist. Auf seine letzte Reise will er sich trotzdem noch nicht begeben und weigert sich, den Tod zu begleiten. Ob er ihm entkommt, kann man am Sonntag, 17. Oktober, von 15 Uhr an erfahren. Dann findet der Theaterspaziergang der Poesieboten erneut statt. Treffpunkt ist an der goldenen Wand auf Höhe der Unteren Grasstraße 34. Der Eintritt ist frei, allerdings wird um eine Anmeldung auf der Homepage der Münchner Volkshochschule unter www.mvhs.de gebeten.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2021
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