Süddeutsche Zeitung

Pasinger Fabrik:Paläste der Republik

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Sie sollten Brücken zwischen Kunst und Proletariat schlagen. Eine Ausstellung in der Pasinger Fabrik zeigt die Blüte einst stolzer Kulturhäuser in der DDR - und ihren Niedergang nach der Wende

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Sind Sie aus dem Osten?" - Kaum hat man Peter Goedel diese Frage gestellt, kommt sie einem irgendwie unzeitgemäß vor. Früher, in den Neunzigern, war diese Ossi-Wessi-Einteilung von Biografien noch Thema. Aber heute, im Jahr 28 nach der Wende, wen interessiert das noch? Und doch. "Ja", sagt Goedel, "ich bin im Osten aufgewachsen". Dann denkt er kurz nach. "Sonst hätte ich den Film nicht gemacht." Mit dem Film meint er eine Doku, in der er zusammen mit der Drehbuchautorin Helga Storck die Geschichte vom "Haus der Freundschaft" in Schkopau erzählt. So hieß das Kulturzentrum der ehemaligen Buna-Werke. Es gab also auch Kultur im Kombinat von "Plaste und Elaste", das der Westler im Transit-Zug nach Berlin nur vom beißenden Geruch durch die zugigen Fenster der Reichsbahn kannte. Der Film war Ausgangspunkt für eine umfassende Ausstellung über die Kulturhäuser in der DDR, die noch bis zum 14. Mai unter dem Titel "Das Kulturwunder im Osten Deutschlands" in der Pasinger Fabrik zu sehen ist. Im Begleitprogramm gibt es Filme, Diskussionen, Kunst und eine Lesung des Schriftstellers Volker Braun an diesem Mittwoch, 12. April.

Wer sich darüber wundert, wie diese Schau ausgerechnet ihren Weg in die Pasinger Fabrik gefunden hat, wird noch mehr erstaunt sein, wenn er erfährt, dass der Umweg über Atlanta, Georgia, führte. Peter Goedel kann das erklären: Helga Storck, wie er Jahrgang 1943, ist in Schkopau zur Grundschule gegangen, gehörte zur Laienspielgruppe des Buna-Kulturhauses, in dem sich die Werktätigen in Theater- und Orchester-Zirkeln, in Chören und Fotoclubs nach Feierabend trafen, in dem aber auch die Hochkultur gastierte: Helene Weigel kam mit ihrem Berliner Ensemble nach Schkopau, auch der Geigenvirtuose David Oistrach trat im Theatersaal auf, und mit den Pantomimen Marcel Marceau schaute auch ein sanfter Klassenfeind vorbei. Helga Storck machte Peter Goedel, der wie sie Anfang der Sechzigerjahre in den Westen ging und heute ebenfalls in München lebt, auf dieses heute weitgehend vergessene Kapitel DDR-Geschichte aufmerksam. Und auch Goedel erinnerte sich an seine eigene Jugend, an den Vater, der an einer Musikhochschule lehrte, aber an den Wochenenden Chöre und Orchester in Kulturhäusern leitete.

Für ihren Film konnten Goedel und Storck noch Akteure von damals sprechen und auf Archiv-Material zurückgreifen. Nachdem sie "An der Saale hellem Strande - Ein Kulturhaus erzählt" auf Einladung des Goethe-Instituts in Atlanta gezeigt hatten, regten die Verantwortlichen dort an, das Phänomen der DDR-Kulturhäuser umfassend in einer Ausstellung darzustellen. "Ich habe etwas arglos zugestimmt, ohne zu wissen, was auf mich zukommt", sagt Peter Goedel. So kam es, dass er und Helga Storck ihre Schau 2014 zunächst in englischer Sprache für Atlanta entwickelten, bis die Finanzierung einer deutschen Fassung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Münchner Kulturreferat stand. So nahm die Schau über Potsdam und das einstige sozialistische Musterdorf Mestlin ihren Weg in die Pasinger Fabrik, wo sie nun zum ersten Mal in West-Deutschland zu sehen ist. Ein passender Ort, wie Fabrik-Kurator Thomas Linsmayer findet, denn auch im Pasinger Haus als eines von 24 Stadtteilzentren werde die Idee gelebt, dass sich Kultur dezentral entwickeln soll.

Zumindest quantitativ ist der Beweis für das "Kulturwunder im Osten Deutschlands" erbracht. Eine Karte in der Ausstellung, die das DDR-Territorium zeigt, ist übersät mit Punkten, 1200 Klub- und Kulturhäuser gab es im Arbeiter- und Bauernstaat, zumeist angesiedelt in unmittelbarer Nähe von industriellen und landwirtschaftlichen Großbetrieben. Beeindruckende Details liefert eine andere Schautafel, die eine Statistik aus dem Jahr 1968 zur "Volkskultur" zusammenfasst: 2000 Laientheater mit über 40 000 Mitwirkenden, 1400 Blasorchester mit 32 000 Musikern, 500 Chöre mit 200 000 Sängern. Insgesamt waren 788 000 Menschen in den Kulturzirkeln aktiv.

"Die Kultur gehört dem Volke. Sie muss ihre tiefsten Wurzeln in dem breiten Schaffen der Massen haben" wird in roten Buchstaben auf weißer Wand Lenin zitiert. Zwecks ideologischer Einordnung, denn Peter Goedel, Helga Storck und Mitkurator Pierre Wilhelm sind hier nicht auf einem Ostalgie-Trip. Es geht ihnen darum, die Widersprüchlichkeit dieses Staates aufzuzeigen, der mit Repression und Propaganda brutal durchgreifen konnte und gleichzeitig viel investierte, um gesellschaftliche Utopien wie die Entwicklung eines "neuen Menschen" zu realisieren.

Mit dem "Bitterfelder Weg" von 1959 ("Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!") sollte eine Brücke zwischen Hochkultur und Proletariat geschlagen werden, ein Anspruch, der auch in der Architektur der Kulturhäuser seinen Ausdruck fand. Neben rauchenden Chemiefabrik-Türmen entstanden klassizistische Symbolbauten mit Säulen, fein profilierten Fassaden mit Sgrafitti.

Die Schau zeigt exemplarisch an einzelnen Kulturhäusern, wie diese Unternehmung blühte, pervertiert und banalisiert wurde, scheiterte - und das nicht erst nach der Wende, die für sehr viele dieser Häuser den sprichwörtlichen Ruin brachte. Denn als die großen Kombinate abgewickelt wurden, stürzten auch deren Kulturstätten. Im Einigungsvertrag hatte man sie schlichtweg vergessen. Die einst staatlich gesponsorte Kultur musste (sich) nun rechnen, und die Kommunen hatten nicht das Geld, die zum Teil überdimensionierten Theater und Konzertsäle weiter zu betreiben. Ehemals stolze Kulturpaläste wurden zu Großraumdiskos oder verrotteten als Möbellager, nur der Denkmalschutz bewahrte sie vor dem Abriss.

Für Peter Goedel sind diese Bauten so etwas wie Mahnmale, nicht für die untergegangene DDR, sondern für einen gesellschaftlichen Prozess, vor dem schon Impresario August Everding, der auch in der Ausstellung zitiert wird, einst warnte: "Wo Kultur wegbricht, wird Platz frei für Gewalt." Der wachsende Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands, sagt Peter Goebel, sei nicht zuletzt eine Folge dieser Leerstellen in der Kulturlandschaft.

"Das Kulturwunder im Osten Deutschlands", Pasinger Fabrik, Galerie, bis 14. Mai, Mittwoch, 12. April, 19 Uhr, Lesung von Volker Braun, Infos zum kompletten Begleitprogramm unter www.pasinger-fabrik.com.

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Quelle:
SZ vom 12.04.2017
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