Süddeutsche Zeitung

Pasing:Auf dem Trockenen

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Versteckte Lecks: Grundstückseigentümer auf der Gleisinsel streiten über hohe Wasserrechnungen. Leidtragende könnten die Kleingärtner sein

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Wenn wir kein Wasser mehr bekommen, dann stirbt die Anlage, so viel Regenwasser gibt es gar nicht", sagt Uwe Blank und zeigt auf einen Metalldeckel am Boden, der mit einem großen Stein beschwert ist. Darunter verläuft die Hauptwasserleitung. Blank ist Vorsitzender der Kleingartenanlage auf der sogenannten Gleisinsel an der südöstlichsten Spitze Pasings. Ein Idyll, umgeben von Bahnanlagen, das nur über eine schmale Straße und eine Brücke zu erreichen ist. Die 200 Mitglieder des Kleingartenvereins treibt derzeit eine Sorge um, die jedem, der etwas zum Wachsen bringen möchte, als schlimmstmögliches Szenario erscheinen muss: Man dreht den Wasserhahn auf, und es kommt kein Tropfen. Sitzen die Pasinger Hobbygärtner bald auf den Trockenen? Sie wären jedenfalls die Hauptleidtragenden in einem Wasserstreit auf der Gleisinsel, der jetzt hochkocht, nachdem eine oder mehrere Leckagen im Versorgungsnetz der Insel entdeckt worden sind. Die Verantwortlichkeiten liegen anderswo, bei den Grundstückseigentümern. Die jedoch scheinen sich alles andere als grün.

Wem obliegt die Wasserversorgung auf der Insel? Wer zahlt wem welche Gebühren? Wo befinden sich mögliche Lecks? Wer zahlt Untersuchungen und Reparatur? Für Außenstehende scheinen die Zuständigkeiten in etwa so unübersichtlich wie das unterirdische Rohrleitungssystem dort. Im Vereinsheim der Kleingärtner legt Kassier Robert Inselsperger einige Blätter auf den langen Biertisch. Sie zeigen Schaltdiagramme und Zählerablesedaten. Die drei Schächte, über die die Parzellen der Kleingärtner mit Wasser versorgt werden, sind farbig unterlegt. Immer zum Ende der Kleingartensaison im Oktober, sagt der Kassier, würden die Absperrschieber dieser Leitungen geschlossen. Dann gebe es kein Wasser mehr in den Gärten. "Und wir überprüfen dann noch regelmäßig, ob sich die Zählerstände ändern", sagt er. Das sei nicht der Fall gewesen, weshalb sich die Leckagen also nicht auf den Pachtflächen der Kleingartenanlage befinden könnten. Die Kleingärtner hätten ihre Wasserrechnungen direkt und pünktlich an die DB Bahnbau überwiesen, sagen Inselsperger und Blank. Dem Bahnunternehmen wiederum stellen die Stadtwerke München alles in Rechnung, was der Hauptzähler anzeigt. Dieser liegt nördlich der Gleisinsel.

Die Eigentumsverhältnisse auf der Insel sind komplex. Laut einem DB-Sprecher war die Bahn zuletzt lediglich Mieter der Flächen, die sich im Eigentum der Aurelis Real Estate Service GmbH, Region Süd befinden, einer ehemaligen hundertprozentigen Bahntochter. Auf dem Gelände waren in der Vergangenheit verschiedene Einheiten der Deutschen Bahn untergebracht. Dazu gehörte unter anderem ein Brückenbauhof, aber auch Einrichtungen für die Instandhaltung des Schienennetzes sowie ein Instandhaltungsstützpunkt für die Leit- und Sicherungstechnik sowie Lagerflächen. Im Laufe der Zeit, so der DB-Sprecher, habe sich der Flächenbedarf dieser Einrichtungen verkleinert, weshalb die Flächen dort an die Aurelis übergeben worden seien.

Bei der Aurelis hat man nun offenbar einen genauen Blick auf den Hauptwasserzähler geworfen und, alarmiert durch den hohen Wasserverbrauch, Untersuchungen vornehmen lassen. Dabei seien bislang drei schadhafte Stellen ermittelt worden, wie aus einer Gesprächsnotiz der Aurelis über einen Vororttermin am 12. Mai 2021 hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt: ein Leck am Urinal in einem Leerstandsgebäude der Aurelis, ein weiteres am Wasserschacht südlich auf Aurelis-Grund, und dann ein drittes Leck auf dem Gebiet eines Immobilien-Unternehmens, in dessen Eigentum sich ein Teil der Gleisinsel seit 2013 befindet. Diese Firma hält dort eigene Flächen, auf denen Container stehen. Und sie ist indirekt auch Verpächterin der Kleingartenanlage, zwischengeschaltet als Generalpächter ist die Bahn-Landwirtschaft.

Nun muss man wissen, dass das Verhältnis der Kleingärtner beziehungsweise der Bahn-Landwirtschaft zu ihrem Verpächter, vorsichtig ausgedrückt, nicht das beste ist. Seit Jahren stehe man "auf Kriegsfuß", wie Karl-Heinz Bendner, Geschäftsführer des Vereins Bahn-Landwirtschaft Bezirk München, es ausdrückt. Es seien diverse Verfahren anhängig, vor dem Landgericht München I, vor dem Oberlandesgericht München, vor dem Landgericht Karlsruhe. Mal gehe es um einen Parkplatz, der aus Sicht der Kleingärtner, vom Verpächter unrechtmäßig fremdgenutzt werde, mal gehe es laut Eigentümer um unrechtmäßig genutzte Kleingärten.

Dieser Unfrieden zwischen den Gärtnern und ihrem Verpächter hat wiederholt auch den Münchner Stadtrat beschäftigt, der sich auf die Seite des Kleingartenvereins geschlagen hat. Auch der Wasserstreit ist nun wieder Thema, denn die Stadtratsfraktionen von SPD/Volt und Grüne/Rosa Liste fordern die Landeshauptstadt in einem gemeinsamen Antrag auf, die Kleingärtner hier "faktisch und rechtlich zu unterstützen".

Man kann sich also vorstellen, dass sich angesichts einer solchen Ausgangssituation eine Einigung im Streit um Wasserrechnungen und Reparaturkosten nicht von heute auf morgen erzielen lässt. Beim Ortstermin Mitte Mai hatte man seitens der Aurelis vorgeschlagen, im Hauptleitungsschacht auf dem Grundstück des Immobilien-Unternehmens einen Absperrschieber mit Zähler einzubauen, um den Verbrauch der Kleingartenanlage sowie etwaige weitere Leckagen auf Flächen der Firma jenseits der Kleingärten zu finden. Kosten: etwas mehr als 5000 Euro. Zudem müsse man eine langfristige, autarke Lösung über die Wasserversorgung der Grundstücksflächen der Firma erarbeiten. Die Kleingärtner ihrerseits hatten bei dem Termin angeboten, in Eigenleistung einen neuen Schacht zu graben und parallel zur möglicherweise schadhaften Hauptleitung eine neue zu legen. Laut Uwe Blank und Robert Inselsperger habe ihr Verpächter dieses Angebot ebenso abgelehnt wie den Vorschlag der Aurelis.

Fragt man den Anwalt des Immobilien-Unternehmers und Kleingartenverpächters, so sieht sich sein Mandant nicht in der Pflicht, was die Wasserversorgung der Kleingartenanlage angeht, das gelte auch für anfallende Wasserrechnungen und Leckagen. Der Anwalt verweist auf den von der Aurelis übernommenen Generalpachtvertrag für die Kleingartenanlage, in dem es unter Paragraf 5 heiße: "Der Pächter ist grundsätzlich verpflichtet, die zur Versorgung der Pachtfläche erforderlichen Anschlüsse an Ver- und Entsorgungsmedien (Wasser, Abwasser, Müll, Strom usw.) selbst und auf eigene Kosten zu beschaffen und die Versorgungsträger im eigenen Namen und auf eigene Rechnung abzuschließen." Sein Mandant habe unter diesen Umständen nicht den geringsten Anlass, damit zu drohen, die Wasserversorgung der Kleingärtner komplett stillzulegen.

Eine Rechtsauffassung, die man bei der Aurelis nicht teilt, wie Sprecher Stefan Sagner ausführt: Der Immobilien-Unternehmer sei verpflichtet, "für eine ordnungsgemäße Wasserversorgung für sich und seine Pächter zu sorgen. Dies wurde aus unserer Sicht versäumt. Auch für den Zustand der Wasserleitungen auf dem eigenen Grundstück ist der Eigentümer verantwortlich. Sollte Wasser auf seinem Grundstück versickern, muss er die Mehrkosten tragen." In den vergangenen acht Jahren habe der Immobilien-Unternehmer stillschweigend die Leitungsanschlüsse der Aurelis mitbenutzt. "Er hat in dieser Zeit auch keinerlei Zahlungen für das verbrauchte Wasser geleistet. Diesen Zustand möchte die Aurelis nicht weiter hinnehmen", so Sprecher Sagner. Die Aurelis habe dem Eigentümer konstruktive Vorschläge gemacht, auf die er bis heute nicht eingegangen sei.

Was aber bedeutet diese verfahrene Situation für die Kleingärtner? Selbst wenn, wie der Anwalt des Verpächters beteuert, dieser nicht vorhabe, ihnen das Wasser abzustellen? Vereinsvorsitzender Uwe Blank und sein Kassier Robert Inselsperger fürchten, dass der Eigentümer ihrer Anlage auch nichts unternehmen werde, das leidige Leck zu finden, und dass das Wasser nun weiter versickern werde. Die Rechnung, welche die Aurelis dem Eigentümer dafür definitiv stellen werde, das ist ihre große Sorge, werde dieser am Ende auf die Pacht für die Kleingärtner umlegen. Eine Summe, welche der Verein am Ende keinesfalls aufbringen könnte. Der Frieden auf der Gleisinsel ist gestört, die Kleingartenidylle täuscht. "Dabei wollen wir hier eine vernünftige Lösung finden, mit der alle leben können", sagt Uwe Blank.

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SZ vom 08.06.2021
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