Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Zombieparade in Tracht

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Wenn die Wirte den Ausschank stoppen und das Bier vom Tisch und die Besucher aus dem Zelt wischen, beginnt die ehrlichste Zeit auf der Wiesn. Sie ist zugleich eine der schönsten.

Von Laura Kaufmann

Die schönste Zeit auf der Wiesn ist vielleicht der frühe Abend. Dann, wenn sich der Himmel rosa und pink verfärbt, Zuckerwattewolken hindurchziehen und die Fahrgeschäfte kreischend bunt dagegen an blinken. Die Leute drehen sich dann um ihre eigene Achse und rufen "Aaah" und "Oooh", wenn sie nicht gerade im Bierzelt sitzen, und so manch einem rutscht vor Staunen der Einhornluftballon aus der Hand.

Das ist die schönste Zeit. Aber die zweitschönste und die ehrlichste Zeit ist die, wenn die Wirte den Ausschank stoppen und das Bier vom Tisch und die Besucher aus dem Zelt wischen.

Dann stolpert das, was sich seit Stunden gemeinschaftlich literweise Bier die Kehle hinunter schüttet, auf die Straßen, eine Zombieparade in Tracht. Die billigsten Hemden hängen nur mehr als Fetzen vom Köper, durch den Riss in der lederähnlichen Hose blitzt die Boxershorts hervor.

Pärchen stützen sich gegenseitig. Einer hat keine Stütze und leert seinen Magen über die eigenen Schuhe, ungerührt schiebt sich einer daneben die ganze Fischsemmel auf einmal in den Mund, während in den Zelten noch die Überbleibsel des Exzesses bereinigt werden.

Vor der Hexenschaukel tanzen sie schwankend und der Konservendosenpop der Fahrgeschäfte wird nur von dem Kreischen der Gäste und Tobogganlachern übertönt. Wer noch nicht genug hat, versammelt sich um die Schnapsstände und legt nach, ein gestandener Bayer rennt, einen Plüscheisbären fest umklammert, über die Schaustellerstraße. An den Buden lehnen Menschen mit Herzschmerz, die Telefone ans Ohr geklammert, Mascara zieht in schwarze Streifen über Gesichter.

Es gibt keine schönere Zeit, um die in Selbstzerstörung vereinte Wiesngemeinschaft zu beobachten, wie sie Slalom durch Lachen von Erbrochenem, zerknüllten Servietten und ketchupverschmierten Bockwürsten laufen. Diesem postapokalytische Ballett wohnt eine ganz eigene, von leisem Scherbenklirren begleitete Poesie inne.

Und draußen, vor dem Haupteingang, da spielt ein Schotte Dudelsack dazu.

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