Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Verschiebung:Wie die Wiesngrippe zum Schnüpfchen mutiert

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In München wird über eine Oktoberfestverschiebung nachgedacht - das macht durchaus Sinn. Der städtische Kalender könnte zudem noch weiter umgestaltet werden.

Glosse von Nadeschda Scharfenberg

Früher, als es noch Papier gab, war das mit den Kalendern immer eine Qual. Wurde ein Termin verschoben, musste erst mal ein Kuli aufgetrieben werden (Kulis haben zwei Eigenschaften: Sie verschwinden entweder in einem noch nicht erforschten Schwarzen-Kuli-Loch oder sie sind ausgetrocknet.), dann wurde durchgestrichen, geblättert, die Seite nicht auf Anhieb gefunden, zurückgeblättert, neu eingetragen, erst in den Bürokalender auf dem Schreibtisch und später zur Sicherheit noch in den Familienplaner zu Hause an der Wand. Heute, in segensreichen Smartphone-Zeiten, genügen für größere Terminrochaden zwei, drei Bildschirmtipper, und obendrein sind alle Teilnehmenden oder sonst wie Betroffenen, pling, sofort informiert.

Da das alles so kinderleicht ist, sollte man nicht nur über eine Verschiebung der Wiesn nachdenken, sondern gleich mal richtig den Kalender umräumen, denn wenn man es einmal nüchtern und ohne Rücksicht auf überkommene Gewohnheiten betrachtet, findet im Jahresverlauf eigentlich nichts zum richtigen Zeitpunkt statt. Erste Maßnahme wäre, Weihnachten und Ostern zu tauschen, weil es an Ostern meistens schneit und an Weihnachten temperaturtechnisch viel zu oft ein blaues Frühlingsband durch die Lüfte flattert. Der Bundesliga-Spielplan wird mit dem Regenradar gekoppelt (nur noch Schönwetterfußball), und das Maibaum-Aufstellen wird auf den frei gewordenen Oktoberfest-Slot geschoben, denn die Ex-Wiesnzeit bietet verlässlich blauen Himmel.

Verkleidungsparty mit reichlich Alkohol - das kann in München zweierlei sein

Wo wir schon dabei sind: Fasching wird aufgrund der gemeinsamen Merkmale "Verkleidungsparty" und "reichlich Alkohol" mit dem neuen Sommeroktoberfest fusioniert. Gleichzeitig rutscht der Tag der Deutschen Einheit ein paar Monate nach vorn, um weiterhin als wiesnverlängernde Maßnahme dienen zu können, zum Beispiel auf den 7. Juli (Jahrestag des deutschen WM-Siegs von 1974 im Münchner Olympiastadion) oder den 19. Juli (um zwei Monate nach hinten verschobener Geburtstag von Dieter Reiter). Weil der Kalender im Juli nun wiederum arg voll ist, müssen die Opernfestspiele in der Starkbierzeit stattfinden, was einer gewissen Logik folgt: Singspiel trifft Singspiel.

Leider ist in dem ganzen Terminverschiebungstrubel durch einen dummen Zufall der Kalendereintrag für das Zentral-Landwirtschaftsfest gelöscht worden. Die Konsequenz: Die Oide Wiesn findet unter ihrem neuen Namen Frische Sommerwiesn künftig jedes Jahr statt. Und die alljährliche Wiesngrippe? Ist wie andere lästige Viruserkrankungen temperaturabhängig und mutiert für alle Zeiten zu einem harmlosen Schnüpfchen.

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