Süddeutsche Zeitung

Obersendling:Reale Bedrohung

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Das Einkaufszentrum an der Machtlfinger Straße in Obersendling schließt Mitte Dezember, das Gebäude wird abgerissen. 116 Mitarbeiter bangen um ihre Zukunft, die besorgten Kunden fürchten um die Nahversorgung

Von Jürgen Wolfram, Obersendling

Auf den ersten Blick läuft an diesem Nachmittag alles wie immer, also wie geschmiert. Draußen brettern Autos die Rampe hoch zum Dachparkplatz, drinnen füllen sich in der Lebensmittelabteilung die Einkaufswagen, Schnäppchenjäger durchstreifen den Nonfood-Bereich im ersten Stock. Von zwölf Kassen sind fünf geöffnet, Schlangenbildung mittelstark. Irritationen löst in diesem Getriebe so leicht nichts aus. Höchstens ein paar kleinere Plakate an Säulen und Scheiben. Sie künden davon, dass am 17. Dezember der letzte Verkaufstag sein wird.

Tatsächlich macht der Real-Markt an der Machtlfinger Straße in Obersendling, mit 7534 Quadratmetern Verkaufsfläche eines der größten Einkaufszentren im Münchner Süden, zum Jahresende dicht. Wegen gravierender, bei einer Teilsanierung festgestellter Schäden soll das Gebäude im üblichen Sichtbeton der 1960er-Jahre abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Aller Voraussicht nach errichtet der Immobilieneigentümer - die Firma Real ist nur Mieter - an gleicher Stelle wieder ein Warenhaus. Nur ob es erneut von dem Handelsunternehmen der Metro-Gruppe betrieben wird, ist ähnlich offen wie die Zukunft der Beschäftigten.

Wie mit denen umgegangen werde, hält die Gewerkschaft Verdi für ein Unding. "Das Management bei Real weiß offenbar nicht, wie man mit der ganzen Situation fertig wird. Entsprechend schlecht wird die Belegschaft informiert", kritisiert Dominik Datz, der sich bei Verdi um den Fall kümmert und nicht fassen kann, wie nachlässig die Real-Zentrale in Mönchengladbach mit dem lukrativen Standort Machtlfinger Straße in München umgeht.

Im 116-köpfigen Mitarbeiter-Team um Geschäftsleiter Mathias Siebenhaar hat sich Wortkargheit breit gemacht. Auskünfte mag niemand geben. Wahrscheinlich wäre es keine gute Idee, den Leuten eine schöne Weihnachtszeit zu wünschen. Bei einer Betriebsversammlung vor ein paar Tagen habe sich herausgestellt, dass noch unendlich viel rechtlich zu klären sei, berichtet Verdi-Mann Datz. So bestehe zwischen seiner Gewerkschaft und Real ein "Zukunftstarifvertrag", nach dem die Schließung einer Niederlassung mindestens 15 Monate vorher bekannt gegeben werden müsse. "Im Fall der Machtlfinger Straße haben wir aber erst drei Monate vorher davon erfahren", so Datz. Und bis heute liege kein Gutachten zur Baufälligkeit des Verbrauchermarktes vor, wie es vor weiteren Entscheidungen benötigt und vom Betriebsrat gefordert werde. Überdies sei der Mietvertrag kürzlich erst für zehn Jahre verlängert worden. "Wie passt das denn zur bevorstehenden Schließung?" Vollends unverständlich sei, warum von der Gewerkschaft Verdi bis hin zur Münchner Stadtverwaltung alle möglichen Seiten Ausweichmöglichkeiten für den Real-Betrieb prüften, nur das Unternehmen selbst nicht.

Das Unternehmen begründet die Zurückhaltung mit der Unsicherheit, ob es an der Machtlfinger Straße 4 nochmals zum Zuge kommt, wenn Abriss und Neubau über die Bühne gebracht worden sind. Mit schnellen Antworten sei nicht zu rechnen, die ganze Angelegenheit befinde sich im Stadium einer Bauvoranfrage. Markus Jablonski, Pressesprecher von Real, bekräftigt aber, dass sein Unternehmen "weiter ein starkes Interesse an diesem Standort" habe. Man bedaure, dass der Markt mit seinen vielen Untermietern - darunter McDonald's, Vinzenz Murr, eine Apotheke, eine Reinigung, ein Blumenshop sowie ein Bäcker - jetzt erst einmal schließen müsse. Versäumnisse sieht Jablonski bei Real nicht: "Wir werden das Feld geordnet räumen, das Gebäude gegen Vandalismus sichern und mit dem Betriebsrat Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan führen." Die Arbeitsverhältnisse müssten wegen der ungewissen Zukunft jedoch betriebsbedingt gekündigt werden.

Das genau zieht Gewerkschafter Datz in Zweifel, er sieht nicht, dass "Kündigungen sein müssen". Zwar existiert in München nur noch ein einziger weiterer Real-Markt, der die 116 Beschäftigten von der Machtlfinger Straße sicher nicht absorbieren könne. Doch lohne es sich allemal, über ein Konzept für den Weiterbetrieb nachzudenken. Vorstellbar wäre ein zeltartiger Übergangsbau, Real müsste sich nur um einen Standort bemühen. Dies nicht zu versuchen, nennt Datz "Dummheit". Denn kaum irgendwo in München nehme die Zahl der Einwohner gegenwärtig so rasant zu wie in Obersendling - "alles potenzielle Kunden". Jede andere Supermarktkette, so seine Einschätzung, würde sich die Hände reiben, hätte sie solche Optionen.

Mit großem Interesse verfolgen auch die Lokalpolitiker die Entwicklung, nicht zuletzt aus städtebaulichen Gründen. Ludwig Weidinger (CSU), Vorsitzender des Bezirksausschusses Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln, vermutet, aus Sicht der Eigentümergesellschaft dürfe es "beim Bauvolumen wohl ein bisschen mehr werden als bisher". Unter Hinweis auf ein neueres, sechsstöckiges Gebäude nebenan könnte sie für den Verbrauchermarkt einen größeren Wurf planen, eventuell sogar kombiniert mit Wohnungen. Ein neues Parkplatzkonzept dränge sich förmlich auf. Noch aber sei alles "in der Schwebe", also Spekulation.

Weidinger war selbst wiederholt im Real an der Machtlfinger Straße. Jedes Mal sei es "zugegangen wie blöd". In einem Punkt weiß er sich daher mit allen anderen Beteiligten einig: "Für die Versorgung Obersendlings ist ein Supermarkt an dieser Stelle eigentlich unverzichtbar."

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SZ vom 21.11.2016
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