Süddeutsche Zeitung

Oberlandesgericht:Firma telefoniert für 6324,50 Euro nach Gambia - und will nicht zahlen

Lesezeit: 2 min

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Während die Angestellten das freie Wochenende genossen, spielten die Telefone der Münchner Firma anscheinend verrückt. Pausenlos wurden wie von Geisterhand Handynummern in Gambia angewählt. 555 Gesprächseinheiten mit Westafrika kamen so auf den Zähler. Kosten: 6324,50 Euro. Die regulären Telefonkosten dagegen betrugen damals im Dezember 2013 nur 47,64 Euro. Kriminelle hatten die Telefonanlage der Firma, einer Kapitalanlagen-Vermittlung, gekapert. Weil sie deshalb nicht zahlen wollte, klagte der Münchner Telekommunikationsanbieter M-net. Am Donnerstag kam der Fall vor das Oberlandesgericht (OLG).

Es war nicht der erste digitale Überfall auf die Münchner Finanzfirma: Bereits zwei Monate zuvor waren von ihren Anschlüssen 704-mal estnische und 695-mal serbische Handynummern angewählt worden. Damals einigte man sich mit M-net noch auf einen Kompromiss. Die Firma beauftragte dann einen Fernmeldemeister mit der Absicherung der Telefonanlage, der sämtliche Passwörter änderte und auch die Fernabfragefunktion der Mailboxen deaktivierte.

In erster Instanz hatte das Landgericht München I der Kapitalanlagefirma recht gegeben. Sie müsse die hohe Rechnung nicht bezahlen, da sie nachweisen könne, dass ihr die neuerlichen mysteriösen Verbindungen nicht zuzurechnen seien - sie habe die Telefonanlage ja durch einen Fachmann absichern lassen. Es liege auf der Hand, dass Unbekannte das Telefonnetz manipuliert und so den Schaden verursacht hätten.

M-net legte Berufung ein: Die Prüfung des Netzzugangs habe ergeben, dass dieser am fraglichen Wochenende technisch fehlerfrei gewesen sei. Der 8. OLG-Zivilsenat machte in der Verhandlung deutlich, dass er die Meinung der ersten Instanz nicht teile. Wenn M-net tatsächlich nachweisen könne, dass bis zur Anschlussdose alles in Ordnung gewesen sei, falle die Beweislast der beklagten Firma zu. Denn es sei nicht ausgeschlossen, meint der Senat, dass in Wirklichkeit der Handwerker gepfuscht habe.

Das Gericht schob dann aber sofort ein anderes Rechtsproblem in den Vordergrund: Hätte M-net das Hacker-Problem nicht schon viel früher erkennen und schneller die Notbremse ziehen müssen? Denn tatsächlich sind Provider zu einem "Cut-Off" verpflichtet, wenn ein ungewöhnliches Nutzungsverhalten zu einer Kostenexplosion führen würde - sie müssen die Verbindung trennen, um den betroffenen Kunden zu schützen. M-net räumt in diesem Fall ein, dass man wegen des Wochenendes erst spät einen solchen "Cut-Off" vorgenommen habe.

Darin sieht der OLG-Senat eine mögliche Pflichtverletzung, ein Richter umschrieb das etwas schräg: "Ein großes juristisches Nilpferd." Dann wurde den M-net-Vertretern die entscheidende Frage gestellt: "Wollen Sie eine Grundsatzentscheidung zum Cut-Off?" Ganz offensichtlich will M-net das nicht. Nach telefonischer Rücksprache nickten die M-net-Vertreter einen den Streit beendenden Vorschlag des Gerichts ab, dem auch die beklagte Firma zustimmte: M-net verzichtet auf zwei Drittel seiner Forderung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3048388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.06.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.