Süddeutsche Zeitung

Obdachlosigkeit:Extremer Mangel

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Innere Mission fordert mehr Anstrengung bei sozialer Wohnungsbaupolitik

Von Thomas Anlauf

Ein Münchner Sozialverband schlägt Alarm: Angesichts der stark steigenden Wohnungslosigkeit in München sei die Politik nun dringend gefordert, wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen, fordert der Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks der Inneren Mission Gordon Bürk. Derzeit sind in der Landeshauptstadt offiziell etwa 9000 Menschen ohne eigene Wohnung, das entspricht knapp der Einwohnerzahl von Tutzing im Landkreis Starnberg. Die Hauptursachen seien die steigende Armut auch in München und ein "extremer Mangel an bezahlbaren Wohnungen", so Bürk. Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission München, fordert angesichts der angespannten Lage am Wohnungsmarkt vor allem von Bundes- und Staatsregierung klare Bekenntnisse zu einer sozialen Wohnungsbaupolitik.

Nach Abschluss der Sondierungsgespräche einer möglichen großen Koalition in Berlin sei in der Wohnungspolitik "keine Trendwende in den nächsten vier Jahren" zu erwarten. Dabei fehlen laut Bauer in Oberbayern derzeit 200 000 bezahlbare Wohnungen. Die Absichtserklärungen in dem Sondierungspapier seien angesichts dessen "nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein". Statt wie geplant eine halbe Milliarde Euro jährlich zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland fordert Bauer mindestens "zehn Milliarden Euro jährlich, um die größten Engpässe zu beheben". Das Sondierungspapier hält Missions-Vorstand Bauer, der seit Januar auch die Federführung der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege übernommen hat, deshalb für "ziemlich unkonkret und nicht ausreichend".

Die Münchner Stadtpolitik nimmt Bauer bei seiner Kritik, die er am Dienstag im Rahmen einer Jahrespressekonferenz der Inneren Mission übte, weitgehend aus. Sie habe "im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus gehandelt". Dennoch könnte auch auf kommunaler Ebene noch einiges geschehen, um dem Wohnraummangel entgegenzusteuern. "Man muss höher bauen", sagt der Sozialexperte. "Wohnhäuser können auch höher als hundert Meter sein." Vorhandener Wohnraum müsse künftig besser genutzt werden. Er appelliert deshalb auch an Hauseigentümer, leer stehende Wohnungen unverzüglich frei zu geben. Mieter, die wegen des Auszugs von Familienmitgliedern in zu großen Wohnungen leben, könnten Untermieter aufnehmen oder in kleinere Appartements ziehen. Dafür müsste es aber von der Politik Unterstützung in Form einer Umzugsfinanzierung geben.

Ein weiteres Problem sieht Bauer im zunehmenden Wegfall an bestehenden sozial geförderten Wohnungen, wenn die zeitliche Bindung wegfällt. Er fordert eine "dauerhafte Sozialbindung" für Wohnungen. Auch das Baurecht muss seiner Meinung nach dringend reformiert werden. Es müsse möglich sein, dass Gewerberäume leichter in Wohnräume umgebaut werden.

Um die hohe Wohnungslosigkeit in München in den Griff zu bekommen, müssten auch neue Konzepte geschaffen werden. In Pasing entsteht in diesem Jahr das laut Gordon Bürk erste sozialbetreute Wohnhaus des Evangelischen Hilfswerks in Zusammenarbeit mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG. Denn das "unterstützte Wohnen muss massiv ausgebaut werden". Viele Menschen, die ihre Wohnung verloren haben, bräuchten Hilfe bei der Wiedereingliederung, wenn sie lange auf der Straße oder bei Bekannten geschlafen hätten. Sozialbetreute Wohnhäuser bieten dauerhafte Wohnmöglichkeiten mit eigenem Mietverträgen und einer gleichzeitigen sozialen oder auch medizinischen Betreuung. Der Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks, einer Tochtergesellschaft der Inneren Mission, wünscht sich aber auch, dass die Kommunen in der Region einen Beitrag gegen die hohe Wohnungslosigkeit leisten. Das Problem: Bislang ist die Unterbringung von Wohnungslosen eine kommunale Aufgabe. Bauer will deshalb erreichen, dass die Landesregierung es ermöglicht, diese Probleme künftig auch über die Kommunengrenzen hinweg anzugehen.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2018
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