Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Immobilien zum Nulltarif

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Wer als leidgeplagter Mieter mal die andere Seite kennenlernen will, kann mit einer App Haus für Haus kaufen - und sehen, wie einfach sich so Geld verdienen lässt

Kolumne von Anna Hoben

All jene, deren Realität es ist, dass sie sich die Mieten in München nicht mehr leisten können, all jene können sich nun trösten, indem sie ihre Realität einfach erweitern. "Augmented Reality", so heißt das in der Technikspielwelt. Sie müssen dafür nur eine App herunterladen, und schwupps, können sie auf die andere Seite wechseln. "Landlord GO" heißt das Handyspiel, mit dem man zum Vermieter werden kann, wobei Vermieter für die App-Entwickler offenbar gleichbedeutend ist mit: Immobilienmogul. Darauf deutet der silberbärtige, lackbeschuhte Anzugträger hin, der einen zu Beginn zu einem Aktenkoffer voll mit Geld führt und der den vielsagenden Namen John M. Pyre trägt. Das Spiel selbst besteht dann darin, dass man durch die Welt spaziert und Immobilien einsammelt, etwa so, wie andere Leute in ihrem Garten Himbeeren pflücken.

Am lustigsten ist es natürlich, wenn man in der eigenen Umgebung anfängt. Die Apotheke in der Nachbarschaft - gekauft. Die Grundschule nebenan - ebenfalls. Das Hotel um die Ecke - warum nicht, passt doch gut ins Portfolio, es kommen ja auch wieder Touristen. Man kauft also und kauft und versucht aufzupassen, dass man nicht in einen regelrechten Kaufrausch gerät. Okay, irgendwann ist das virtuelle Geld alle, und so lässt das endgültige René-Benko-Gefühl noch ein bisschen auf sich warten. Doch das Spiel belohnt einen fürs Warten, indem es regelmäßig Mieterträge ausschüttet. Ein bisschen so, wie Spekulanten in der echten Welt dafür belohnt werden, dass sie ein Grundstück kaufen, aber keine Wohnungen darauf bauen, sondern einfach abwarten und irgendwann das Grundstück teurer weiterverkaufen.

Es geht einfach nichts über einen Perspektivwechsel. Man versteht die Immobiliensammler gleich viel besser, wenn man selbst virtuell einer geworden ist. Glaubt man einer Pressemitteilung der Entwickler, sind in München schon mehr als 15 000 Spielerinnen und Spieler dabei, Deals abzuschließen für rund 70 000 Immobilien. "Habe schon meinen ganzen Ort unter Kontrolle", schreibt ein Spieler in den Bewertungen. Das Tolle an der App sei, dass man eigentlich gar nichts tun müssen, um die Miete einzusammeln. "Es wird automatisch generiert." Vorsicht, warnt ein anderer, "es besteht ein Suchtfaktor, die ganze Welt kaufen zu wollen". Das Spiel begrüßt einen auch nach ein paar inaktiven Tagen freundlich zurück: Man habe während seiner Abwesenheit Zehntausende verdient.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2020
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