Süddeutsche Zeitung

Notwendige Freiräume:Die Angst vor dem Siedlungsbrei

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Entwicklungsforscher Holger Magel warnt vor ungebremstem Wachstum.

Von Walter Gierlich

Wenn der Landkreis Dachau die nächsten vierzig Jahre so weiter wächst, wie seit 1977, dann hat er ein Problem. So lassen sich Holger Magels Bedenken zusammenfassen. Er ist emeritierter Professor für Landentwicklung und Landmanagement an der TU München und Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum. Die Gemeinden, so sagt er, müssten aufhören, Bauland auszuweisen oder dürften das nur noch peu à peu tun. So schwer es vielleicht falle. Sonst, so befürchtet er, entstehe ein endloser Siedlungsbrei ohne die notwendigen Freiräume, wie man ihn etwa in Peking und dessen Umland sehen könne: "Dann braucht es auch keinen Landkreis Dachau mehr. Er ist längst untergegangen in der Metropole München."

1977 lebten 100 000 Menschen im Landkreis. Heute sind es knapp 150 000, also 50 Prozent mehr. In der S-Bahn gab es damals noch Waggons der Ersten Klasse, die erst 1983 abgeschafft wurde. Der größte Arbeitgeber war die MD-Papierfabrik am Fuße der Dachauer Altstadt, von der seinerzeit niemand gedacht hätte, dass sie drei Jahrzehnte später für immer den Betrieb einstellen würde. Und wenige Wochen nach dem Erscheinen der ersten Dachauer SZ-Landkreisausgabe trat der CSU-Politiker Hansjörg Christmann das Amt des Landrats an, das er 37 Jahre lang bekleiden sollte.

Es sei fatal zu behaupten, dass der Großraum weitere 300 000 Einwohner vertrage

In seiner Amtszeit veränderte sich der Landkreis enorm, besonders rasch in den letzten Jahren. Und das Tempo der Veränderungen könnte sich zusätzlich beschleunigen wegen des weltweit zu beobachtenden Phänomens der Urbanisierung, des Zuzugs von immer mehr Leuten in die wuchernden Metropolen. Sicher scheint, dass künftig deutlich mehr Menschen zwischen Karlsfeld und Hilgertshausen und zwischen Haimhausen und Odelzhausen leben werden als jetzt. Das statistische Landesamt jedenfalls prognostiziert für den Landkreis Dachau schon bis zum Jahr 2035 ein Bevölkerungswachstum von 17,2 Prozent - das höchste in ganz Bayern - auf dann 175 000 Einwohner. Wie der Landkreis allerdings in 40 Jahren aussehen wird, dürfte angesichts der zu erwartenden Entwicklungsdynamik schwer vorauszusagen sein. "Das wäre Kaffeesatzleserei", sagt Holger Magel. Den Landkreis Dachau kennt er ziemlich gut. Vor einigen Jahren moderierte er die 14 Bürgerforen für das Projekt "Zwischen Dorf und Metropole". Maßvolles Wachstum war oberste Leitlinie, die dabei von Bürgern und Politikern erarbeitet wurden. "Ich habe noch im Kopf, wie die Leute besorgt waren, dass ihre Frei- und Erholungsflächen zugebaut werden", erinnert sich Magel. Und mittlerweile glaubt er, dass diese Befürchtungen Wirklichkeit werden, "wenn nichts Entscheidendes geschieht in den Köpfen".

Magel meint damit etwa die Köpfe der Verantwortlichen in München und im Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum. Diese sendeten ein fatales Signal aus, wenn sie immer wieder darauf hinwiesen, dass der Großraum München noch weitere 300 000 Einwohner vertrage. Ziel müsse Magel zufolge vielmehr "die Rückkehr zu einem kontrollierten organischen Wachstum sein", so sagt er. "Das heißt, zu einer Zuwachsdimension, die wir vertragen. Das ist völlig über Bord gegangen. Immer mehr Bürger mobilisieren gegen die Bauwut in München und Umgebung. Der Raum München gehört, wie es Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) schon vor Jahren gesagt hat, abgekühlt."

Allerdings sieht Magel bisher in der Politik niemanden, der wirklich umsteuern oder zumindest bremsen will. Den Ruf nach weiterem Wohnungsbau angesichts dramatisch steigender Immobilienpreise und Mieten hält er für ein Hase-und-Igel-Rennen: "Je mehr ich baue, desto mehr Leute kommen nach." Mit ihnen nehmen die Verkehrsprobleme zu. Schon vor fünf Jahren beim Projekt Dorf und Metropole sei angesichts der Tatsache, dass der Autoverkehr aus dem Hinterland sich durch den Flaschenhals Karlsfeld nach München zwängen müsse, der Ruf nach einem Tunnel unter der Münchner Straße laut geworden. Das Projekt hat es mittlerweile in den Bundesverkehrswegeplan 2030 geschafft - wenn auch nur unter "weiterer Bedarf".

Für Magel ist es damit aber nicht getan. Notwendig sei vor allem eine Verstärkung des schienengebundenen Nahverkehrs. Magel kann sich beispielsweise die Verlängerung von U-Bahn-Linien vorstellen, etwa von Feldmoching oder Moosach nach Karlsfeld und Dachau. Denn die Pendlerströme werden nach seiner Ansicht kaum abnehmen, obwohl das neue Landesentwicklungsprogramm die Ausweisung von Gewerbegebieten gerade im ländlichen Raum erleichtere.

Der Landkreis Dachau sei mit seinen noch offenen Landschaften besonders gefährdet: "Ein paar Firmen, welche die Nähe zu München suchen, verdienen mehr Geld, aber Arbeitsplätze wird es nur für wenige geben", sagt er. "Der Preis: Die Landschaft wird verbaut und verunstaltet für die nächsten Generationen", lautet Magels Fazit. Er zitiert den Philosophen Julian Nida-Rümelin: "Der Markt ist blind. Er kennt keine Zukunftsverantwortung." Umdenken tut not.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2017
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