Süddeutsche Zeitung

Kritik:Sechs auf einen Streich

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Neue Violin-Partiten von Nikolaus Brass im Schwere Reiter.

Von Harald Eggebrecht

Eine eigentümliche Klanglandschaft, wehmütig, klagend, elegisch, doch auch aufbrausend, zornig, energisch, wird da ausgebreitet: Sechs Geiger des Münchener Kammerorchesters - Nina Takai, Yuki Kasai, Victor Stenhjem, Gesa Harms, Simone Venslovaite, James Dong - bieten die Uraufführung der "Sei Solo - Corona series" des renommierten Münchner Komponisten Nikolaus Brass im Schwere Reiter: 27 Sätze umfassen die sechs Partiten in rund 90 Minuten. Brass wollte weder Pause noch Applaus zwischen den Partiten, die er unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und ihrer Isolationsfolgen geschrieben hat, ausgelöst von einer 27-teiligen Bilderserie der Künstlerin Stephanie von Hoyos.

Die Musiker treten nacheinander je an einer anderen Stelle der Spielfläche auf. Ein Scheinwerferkegel leuchtet um den jeweiligen Notenständer während des Spiels und erlischt mit dem Ende des Vortrags. Ein Ritual, in dem jeder die Landschaft des Vorgängers gleichsam weiter ausspinnt. Ein grüblerisches, nachdenkliches, fesselndes Exerzitium in Sachen Einsamkeit, denn "sei solo" bedeutet im Italienischen, du bist allein, kann aber auch sechs Solostücke heißen. Nikolaus Brass bezieht sich da selbstbewusst auf ein monumentales Vorbild: "Sei Solo" nannte Johann Sebastian Bach seine sechs Sonaten und Partiten für Violine solo, für Yehudi Menuhin das "Alte Testament" aller Geigenliteratur.

Die Musiker entfalten in den Brass-Partiten eine Musik der zarten Farben, deren jeweilige Nuancen vielfältig variieren. Doch es steigert sich, wird offensiver: In der dritten Partita gibt's ein deutliches Bachzitat aus dessen a-Moll-Solosonate, die fünfte wird zum Theater, wenn die Geigerin das Instrument wechseln muss, um es im Sitzen wie ein kleines Cello auf dem Schoß zu bedienen. Dann kehrt sie sich, wieder stehend, zum dritten Notenständer. In der sechsten leuchten die Phrasen und Linien kräftig, nicht mehr fahl und wehklagend, auf. Großer Beifall für die imponierend spielenden Musiker und für den strahlenden Komponisten.

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