Süddeutsche Zeitung

Kritik:Verspanntes Lächeln

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Eine schwierige Beziehung: Nigel Kennedy und das Kammerorchester Basel in der Isarphilharmonie.

Von Paul Schäufele, München

Wer in diese Gesichter schaut, die angestrengten, stirnrunzelnden, verspannt lächelnden, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können: Den Musikerinnen und Musikern des Kammerorchesters Basel ist nicht nur höchst suspekt, was hier geschieht, schlimmer noch, es ist ihnen peinlich. Das Kammerorchester ist ein ernstes, ernst zu nehmendes Ensemble mit Expertise in unterschiedlichsten Epochen, aber hier hilft es ihnen wenig. Und nicht, dass jetzt jemand herkommt und sagt: "Klar. Da muss nur jemand wagen, ernste und Unterhaltungs-Musik zu kombinieren, schon wird er in den Boden gestampft." Denn dass Nigel Kennedy seit Äonen versucht (und damit auch nach wie vor bei seinen Fans reüssiert), Leuten ein E für ein U vorzumachen, ist nicht das Problem.

Problematisch ist nur, wie er es macht. Egal, dass er in seinem bunten Kennedy-Habit auf die Bühne kommt. Egal, dass er stampfend über die Bühne fegt wie ein Elefanten-Kind im zu engen Käfig. Egal auch, dass er dabei seinen Kollegen manchmal unangenehm nahe kommt. Oder, vielmehr, all das wäre egal, wenn es einen guten Grund für seine Hampeleien gäbe. Doch die einzig denkbare Erklärung ist, dass Kennedy ein ermüdeter Künstler ist, unfähig, musikalische Prozesse nachzuvollziehen und mit einer nach allen Seiten hin ausfransenden Technik, die es unmöglich macht, Gespanntheit und Ausdruck zu erzeugen, ohne auf Bühnenkunststückchen zurückzugreifen.

Beethovens Violinkonzert, ein notorisch heikles Werk, offenbart diese Schwächen. Kennedy fiedelt sich durch den Kopfsatz in mattem Legato und brüchigen Spielfiguren; der teuflisch schwierige Larghetto-Gesang in höchster Lage ist kaum wiederzuerkennen; das Rondo überraschend zahm, bis zu einer Kadenz, in der Kennedy (am Klavier!) eine Hommage an Little Richard bietet. Gut, vielleicht ist ihm dieses gewichtigste aller Violinkonzerte etwas zu groß. Nun spielt er sein eigenes, im Juli 2021 uraufgeführtes Opus "Für Ludwig van". Wie klingt das? Als hätte ein inspirierter Oberstufler gelernt, was "enharmonische Verwechslung" bedeutet und sich anschließend am Notensatzprogramm ausgetobt. Ein paar Beethoven-Zitate rein, kein musikalisches Klischee auslassen, dieselben Motive unmotiviert exzessiv wiederholen, viele Arpeggien und Tremoli für den Solisten, also alles, was schwer aussieht, aber gar nicht so schwer auszuführen ist. Und wer dann mit rotem Kopf und heißen Ohren diese drei Stunden Revue passieren lässt, wird erschrocken feststellen: Die schönsten Momente waren die, in denen Kennedy am Klavier saß, ein paar Akkorde drückte und das Orchester die Musik machen ließ.

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