Süddeutsche Zeitung

Neue Sozialreferentin:Innen rot und oben lila

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Sie war Bürochefin bei Christian Ude, jetzt hat Dorothee Schiwy einen der wichtigsten Posten der Stadt. In dem will sie kämpfen für die Benachteiligten - und möglichst unangepasst sein

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Als Dorothee Schiwy gerade mal zwei Minuten als neue Leiterin des Sozialreferats gewählt ist, kommt im Sitzungssaal des Rathauses eine Frau ganz in Schwarz zu ihr, umarmt sie, drückt sie und sagt: "Wird schon." Aus Worten und Gesten wird nicht eindeutig klar, ob die bisherige Amtsinhaberin Brigitte Meier nur ihre Nachfolgerin aufmuntern will oder auch ein bisschen sich selbst. Doch nach Meiers erzwungenem Abgang zeigt diese herzliche, informelle Amtsübergabe, dass die SPD ihren sozialen Neustart wunschgemäß hinbekommen hat: Wieder ist eine Frau aus ihrer Partei Referentin in diesem ureigenen Schlüsselressort, noch dazu eine, die Politik und Verwaltung gut kennt. Schiwy soll nach Meier das neue, soziale Gesicht der Stadtregierung werden.

Die neue Referentin, 43, macht allerdings nicht den Eindruck, als ob sie für ihre neue Aufgabe viel Zuspruch benötigen würde. Sie habe "großen Respekt" vor dem Posten, den sie am 1. Juli antreten wird, aber "ich würde den nicht machen, wenn ich mir das nicht zutrauen würde", sagt Schiwy. Sie gibt in einem Rathauszimmer noch am Mittwochvormittag eine spontane Pressekonferenz, um sich und ihre Ideen vorzustellen. Routiniert benennt sie Standpunkte, die das Herz der Parteigenossen und der sozialen Verbände wärmen werden. Eine "Herzensangelegenheit" sei die große Herausforderung im Sozialreferat. Sie wolle durch ihre Arbeit dazu beitragen, auch den sozial Bedürftigen in der "Stadt der Reichen und Schönen" ein vernünftiges Leben zu ermöglichen.

Aber auf eine Überdosis sozialer Gemütlichkeit dürfen sich die etwa 4 000 Mitarbeiter des Sozialreferats nicht verlassen. Dass sie Konformität und Angepasstheit nicht mag, zeigt sich an Dorothee Schiwys Frisur. Aus den hochgesteckten blonden Haaren haben sich einige lila Strähnen herausgekämpft. Durchaus ein Statement, wie sie selbst sagt: "Ich neige dazu, Menschen zum Nachdenken anzuregen." Dass sie nicht zum Anpassen neigt, ist den ersten Interviews zu entnehmen. Schnell kommt Schiwy von sozialen Brennpunktthemen zu internen Prozessen, die sie verändern möchte. Von Arbeitsbereichen, die sie besser organisieren möchte. "Das Haus ist nicht überall hundert Prozent gut aufgestellt." Beim Personal drücke zum Beispiel der Fachkräftemangel, wichtige Positionen wie die Leitung des Jugendamts gelte es zügig zu besetzen, und mögliche Probleme wie bei den Abrechnungen der Kosten für jugendliche Flüchtlinge dürfe es nicht mehr geben. Genau diese haben ihre Vorgängerin das Amt gekostet. Fragt man Schiwy nach ihren Stärken, kommt sogleich der Verweis auf strategische Planung. Keine schlechte Eigenschaft für die Arbeit in einem Referat mit fast 4000 Mitarbeitern und einem Etat von 1,4 Milliarden Euro, das unübersichtlich viele brisante Themen abarbeiten muss.

Geschärft hat sie diese Fähigkeit beim früheren Oberbürgermeister Christian Ude. Der holte im Jahr 2000 die damalige Pressesprecherin der SPD-Fraktion in seinen Stab, wegen ihrer "herausragenden Fähigkeiten", wie er sagt. Schon damals hatte Schiwy eine ungewöhnliche Karriere hingelegt. Aus einer sozial engagierten SPD-Familie stammend studierte sie Jura an der LMU in München. Danach stieg sie bei einer international tätigen Wirtschaftskanzlei ein, wo sie relativ schnell eine Sinnkrise einholte, wie sie heute sagt: "Ich dachte: Soll es das gewesen sein? Geld anhäufen und um sich selbst drehen?" Sie wollte die unpersönliche Arbeit mit den Konzernen gegen einen Job mit Menschen tauschen.

Als sie einer Zeitungsannonce der SPD-Fraktion im Stadtrat entnahm, dass ein Pressesprecher gesucht würde, entsann sie sich einiger journalistischer Erfahrungen aus der Jugendzeit. Sie wurde genommen und legte dann in der SPD einen steilen Aufstieg hin bis zur persönlichen Referentin von OB Ude. Der kann sich heute noch gar nicht bremsen, wenn er die Qualitäten seiner "engsten Mitarbeiterin" beschreiben soll: große Rechtskenntnisse, einen ebensolchen Überblick über die Verwaltung, ausgestattet mit einer ausgeprägten Energie und Effizienz, loyal. Für das Sozialreferat "eine wirklich glückliche Wahl".

Dabei springt die soziale Seite einen nicht auf den ersten Blick an, wenn man den Lebenslauf von Dorothee betrachtet. Das sagt sie übrigens sogar selbst.

Nach der Ära Ude wechselte sie als Verwaltungsleiterin ins Bildungsreferat. Dort wurde die Neue aus dem OB-Büro zuerst einmal skeptisch beäugt. In der Art durchaus sympathisch, habe sie anfangs einiges angeschoben, ist aus dem Referat zu hören. Doch das konsequente Dranbleiben an den Themen habe man dann stark vermisst. Der Elan sei wieder gesunken, der große Apparat habe ihr Schwierigkeiten bereitet. Im Nachhinein sehen einige im Referat den Job als "Durchlauferhitzer" für höhere Aufgaben. Zum Beispiel für das Amt der Stadtdirektorin im Sozialreferat.

Ursprünglich wollte Schiwy dort nur zweite Frau werden hinter Brigitte Meier. Doch dann brachen die ungeklärten Rechnungen aus der Flüchtlingsbetreuung über die Referentin herein. Nach wenigen Monaten als Stadtdirektorin zieht Schiwy nun im vierten Stock des Referats am Orleansplatz ein paar Türen weiter ins Chefzimmer. Sie fühle sich keineswegs fremd hier, erklärt Schiwy. Sie habe schon im Stab von Ude das Sozialreferat zeitweilig betreut.

Die fachliche Eignung spricht ihr auch Oppositionsführerin Gülseren Demirel nicht ab, die Fraktionssprecherin der Grünen. Zwar bekam Schiwy im Stadtrat mit 48 Stimmen offensichtlich nur die Voten der Regierung aus CSU und SPD, doch das habe "strategische Gründe". Schiwy müsse als Referentin die Leitlinien von Schwarz-Rot vertreten, deshalb habe man ihr die Zustimmung verweigert. Das sei "keine inhaltliche oder persönliche Kritik", sagt Demirel. Schiwy sei bei der nicht öffentlichen Vorstellung im Sozialausschuss sehr überzeugend aufgetreten, habe wichtige Themen angesprochen.

Das Sozialreferat sei "rein politisch die größte Herausforderung", sagt Schiwy dann auch am Tag der Wahl. In der Boomstadt München mit ihrem ungebremsten Wachstum seien die Wohnungsnot, die Armutszuwanderung, die Überschuldung, aber auch die Versorgung von Flüchtlingen nur einige Schwerpunkte ihrer künftigen Arbeit. Dabei will sie insbesondere als "Schnittstelle von Politik und Verwaltung agieren". Also nach innen steuern und außen das Beste für ihren Bereich herausholen. Dazu gelte es das soziale Klima in der Stadt zu bewahren oder noch zu verbessern. Durch klare Botschaften in die Politik aber auch die Arbeit im Detail im Referat. "In der Stadt der Reichen und Schönen möchte ich ein Stück weit das soziale Gewissen werden."

Eine Praxis-Übung im Ausbalancieren absolviert Schiwy übrigens jeden Tag: Ihr Schreibtischsitz ist ein Ball.

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SZ vom 16.06.2016
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