Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Wenn die Wohnung bedrohlich wirkt

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Bilder an den Wänden, Figuren auf den Regalen, viel Holz. Eine solche Einrichtung wäre in Syrien, der früheren Heimat unseres Kolumnisten, undenkbar.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Mein erster Eindruck einer bayerischen Wohnung war bedrohlich. Das lag an den Bildern an den Wänden und den Figuren auf den Regalen und Kommoden. In Syrien dürfen Gesichter nicht dargestellt werden. Bayerische Häuser werden oft von einem üppig geschnitzten und mit Geranien oder Petunien bepflanzten Balkon geschmückt. In Syrien haben wir kaum Balkone. Wir sitzen zum Essen auf dem Boden rund um den Kamin, der mit Öl beheizt wird.

Wir schlafen gerne auf unseren Flachdächern unter dem Sternenzelt, weil es auch nachts noch warm ist. Mithilfe meiner Freunde habe ich in Rakka ein großes Haus aus Lehmziegeln gebaut. Wir saßen dann darin auf dem Boden, tranken Tee und führten mehr oder weniger tiefsinnige Gespräche. Jetzt ist das alles von Bomben zerstört - und ich habe in Kirchseeon ein neues Zuhause, zu dem die Leute hier im Osten von München "Dahoam" sagen.

Wie sieht dieses Dahoam aus? Ein Blick in eine typisch bayerische Wohnstube verrät, dass hier viel Holz im Spiel ist. Wahrscheinlich musste ein ganzes Waldstück für so eine bayerische Stube geopfert werden. Die Wände bestehen aus Paneelen, die Decke wird von massiven Holzbalken gestützt. In der Stube stehen ein großer Holztisch, eine hölzerne Eckbank und gepolsterte Armlehnstühle. Das Herzstück der bayerischen Stube ist ein riesiger Kachelofen mit umlaufender Sitzbank, die vorzugsweise vom Stubentiger genutzt wird.

Der Kachelofen wird selbstverständlich mit Holzscheiten beheizt, die der Bayer akkurat vor seiner Behausung aufschichtet, so sauber, als gäbe es damit einen Preis zu gewinnen. Selbst der Hund liegt am liebsten auf den Holzdielen. Das alles macht den Raum "griabig", so dass man gerne lange bei Speis und Trank sitzen bleibt, besonders jetzt, wo der Winter im Anmarsch ist.

Eine solche Einrichtung wäre in Syrien undenkbar. Es gibt dort kaum Wälder. Deshalb kennt man keine Holzmöbel. Die werden aus Beton und Metall gefertigt. Im Gegensatz zu bayerischen Häusern gibt es auch keine Satteldächer. Trotzdem war das Wohnen in Syrien lange schön, ich hatte eine große Wohnung, und meine Eltern ein Haus mit zwölf Zimmern und einer Garage, dazu kam ein großer Garten mit einem eigenen Schwimmbad und einem Fußballfeld - wir hatten sogar einen eigenen Hühnerstall. Ich konnte von Zimmer zu Zimmer gehen, so wie ein Kolibri von Baum zu Baum fliegt. Dann kam der Krieg, und für mich begann eine monatelange Flucht zu einem neuen Wohnort.

In München angekommen, wurde mir ein kleines Zimmer zugewiesen, in dem ich fortan mit drei weiteren Flüchtlingen wohnte. Der Raum war vier mal drei Meter groß. Davon waren drei Quadratmeter für mich. 1,5 für mein Bett, einer für meinen Schrank und der Rest für Küchenutensilien und Sonstiges. Im Stockbett fühlte ich mich oft wie ein Huhn auf der Stange im Hühnerstall meiner Eltern. Wenn ich ins Bett gehen wollte, musste ich erst wie ein Känguru über die Hindernisse springen. Meistens trug ich verschiedene Socken, weil ich die passenden Paare nicht finden konnte.

Dieser Zustand dauerte lang an, denn in München und Umgebung ist es mit der Wohnungssuche so, als ob man in der Innenstadt von Aleppo ein unbeschädigtes Gebäude finden will. Nach unzähligen Wohnungsbesichtigungen, Verhandlungen und Diskussionen habe ich dann tatsächlich eine Wohnung gefunden. Dort kann ich nun alle meine Sachen ordnen wie in einer gut sortierten Apotheke. Ich hatte großes Glück: Viele Flüchtlinge sind mit ihrer Wohnsituation hingegen so zufrieden wie ein Bayer, wenn man ihm seinen Kachelofen durch eine Ölheizung ersetzen würde. Viele meiner Freunde aus dem Flüchtlingsheim suchen deswegen immer noch nach ihren Socken.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2017
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