Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Großes Herz, große Liebe

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Inge Pommeremke, die "Mutter Teresa der Kleinkunst-Stammtische" und "Klassensprecherin" der Münchner Bühnen, ist am Donnerstag im Alter von 74 Jahren gestoben

Von Oliver Hochkeppel

Sie hatte kein Amt, keine Macht oder beglaubigten Status, und trotzdem war sie eine Institution: Inge Pommerenke, von allen nur Pommi genannt, war eine, wenn nicht die gute Seele der Münchner Kleinkunst-Landschaft. Keine wichtige Premiere in einer der Kabarettbühnen oder auch im Metropoltheater (wo sie "Stuhlpatin" von Platz 18 in Reihe 6 war), keine Nachfeier, keine Preisverleihung, kein einschlägiger Stammtisch und nicht zuletzt (ihrer Lungenkrankheit zum Trotz) keine Pausenversammlung der Raucher, wo sie nicht gewesen wäre. Weil ihr der Nachwuchs besonders am Herzen lag, war sie Stammgast beim "Blickpunkt Spot" und bei den "Schwabinger Schaumschlägern" im Vereinsheim. Und weil sie die Verbindung von Genüssen zu schätzen wusste, wurde sie zum Rekordbesucher des "Meatingraums" von Sven Kemmler und Marc Christian: Unfassbare 74 mal war sie bei dieser Verbindung von Kultur und Konzeptkochen dabei.

So klein (und auch krumm) sie von Wuchs war, so wenig konnte man sie dennoch übersehen oder überhören. Einmal wegen ihrer leicht freakigen Kleidung, vor allem aber wegen ihres unverwechselbaren Lachens und ihrer "Super!"-Rufe, die auch auf diversen TV-Aufzeichnungen festgehalten sind. Ihre gerade für ihr Alter außergewöhnliche Neugier, Offenheit und Begeisterungsfähigkeit machte sie zu einer Ausnahmeerscheinung und zu einem Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement. Ihre Facebook-Seite und ihr Mail-Account wurden zur Plattform der Szene, zahllose Freundschaften mit Künstlern hat sie geschlossen, viele gefördert und inspiriert.

In die Wiege gelegt wurde ihr das nicht. Geboren in Heidenheim an der Brenz konnte sie in der Jugend der schwäbischen Provinz nicht entrinnen, ihr Dialekt zeugte bis zuletzt davon. Sekretärin wurde sie, und gerne kokettierte sie mit ihrer mangelnden Bildung und Bedeutung. In Wahrheit hatte sie dies früh durch einen wachen und kritischen Geist und eine besondere Lebensklugheit wettgemacht. Der Job hatte sie nach München geführt - im vergangenen Jahr feierte sie den 50. Jahrestag ihres Zuzugs -, wo sie sich mitten in der 68er-Ära endlich in der Großstadt wiederfand, die ihrer anarchistischen Lebensfreude entsprach. Kein Wunder, dass sie sich bald in die Kabarettszene verliebte. Um sich ganz diesem Interesse zu widmen, ging sie in Frührente und steckte alles, was sie hatte, in ihre Leidenschaft. Und entwickelte über den enormen Erfahrungsschatz ein unbestechliches, subjektives, aber immer verhandelbares Urteil.

So rückhaltlos liebte sie die oft so große Kleinkunst, dass diese Liebe auf besondere Weise erwidert wurde. Wohl kein anderer Besucher hat eine derartige Wertschätzung durch die Größen der Szene erfahren. Für Sven Kemmler war sie die "Mutter Teresa der Kleinkunst-Stammtische". Jochen Schölch kann sich an keine Premiere "ohne ihr konzentriertes Zuschauen" erinnern. Till Hofmann wusste, "wenn man eine halbe Minute durchs Fenster des Vereinsheims schaute, und Pommi, die Klassensprecherin, lachte, dann hatte man das gute Gefühl, dass alles in Ordnung ist". Chansonnier Stefan Noelle, einer ihrer Favoriten, dichtete ihr zum 70. Marvin Gaye's "What's Going On" um: "Was hat Klasse, was hat Präsenz? Was ist die Kleinkunst-Quintessenz? Hey - die Pommi kennt's!"

Beim ersten Lockdown versicherte Inge Pommerenke noch fröhlich, ihr sei gar nicht so langweilig, wie alle glaubten, sie genieße die vorher unvorstellbare Ausgeh-Abstinenz als eine Art Urlaub und habe sogar die Lust am Kochen wiederentdeckt. Den zweiten hat sie nicht mehr so locker genommen. Es kann ihrer Gesundheit nicht zuträglich gewesen sein, so lange ihrer Aufgabe als guter Geist beraubt zu werden. Am Donnerstag ist Inge Pommerenke mit 74 in ihrer geliebten Wahlheimat Schwabing gestorben. Ihr großes Herz wird der Szene fehlen.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2021
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