Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Der Musiker Gerhard Seitz ist tot

Von Harald Eggebrecht

Er gehörte zu den prägenden Musikerpersönlichkeiten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks von 1948 bis 1985. Wenn Gerhard Seitz als Konzertmeister am ersten Pult saß, gab es keine Exaltiertheit, kein Rampenschäkern, der zierliche Mann mit dem leicht ironischen Lächeln musizierte mätzchenfrei, ganz auf die Musik konzentriert. Er stammte aus einer alteingesessenen Münchner Künstlerfamilie. Das Geigenstudium wurde brutal vom Zweiten Weltkrieg unterbrochen, er musste als Soldat nach Russland, wurde zweimal verwundet und geriet in englische Gefangenschaft. Danach ergriff er die Violine umso intensiver. Mit einem Jugendfreund gründete er ein Duo, Wolfgang Sawallisch hieß der Pianist, der ein weltberühmter Dirigent wurde. 1949 gewannen sie den Internationalen Wettbewerb in Genf unter abenteuerlichen Umständen. Sie tauschten die harten Franken des Preisgeldes in D-Mark schon in der Schweiz um. Das war verboten, der deutsche Zoll beschlagnahmte das Geld.

Mit Sawallisch hat er noch häufig im Duo konzertiert. 1952 schrieb ein Kritiker in Detmold, ob die beiden nicht "als Prototypen jener neuen Musikergeneration anzusprechen" seien, "deren Existenz eine Blütezeit deutscher kultureller Weltgeltung heraufführen könnte". Als Konzertmeister erlebte Seitz die bedeutendsten Maestri, vom Gründungsdirigenten Eugen Jochum bis Igor Strawinsky, von Rafael Kubelik bis Rudolf Kempe, Otto Klemperer, Ernest Ansermet und dem alten Freund Sawallisch und vielen anderen. Als Lehrer unterrichtete Seitz wunderbar klar und mit feinem Witz, so dass kein Schüler am Unvermögen verzweifeln musste. Nach seiner Demission zog sich Seitz an die Donau zurück, war aber immer bestens informiert und ein höchst vergnüglicher Briefschreiber. Nun ist Gerhard Seitz mit 98 Jahren in Ottobeuren gestorben.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2020
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