Süddeutsche Zeitung

Nach Heldentat von Paris:Eine Staatsbürgerschaft darf nicht zum Gnadenakt verkommen

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Wenn ein Flüchtling wie im Fall des "Spider-Mans von Paris" eine Heldentat vollbringt, wird er eingebürgert. So ein Automatismus sendet ein völlig falsches Signal an Geflüchtete.

Kolumne von Olaleye Akintola

Der Videoclip des jungen Mannes aus Mali ging um die Welt: Er sieht in Paris ein Kind am Balkon hängen, klettert die Fassade hoch und rettet es vor aller Augen. Der Mann wird so zur Lichtgestalt. Es hat viel Applaus für ihn gegeben. Der "Spider-Man von Paris" wurde nach seiner Heldentat eingebürgert. Nun ist er Franzose und hat ein Job-Angebot von der Pariser Feuerwehr.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Zuwanderer heroisiert wird. Erst im September hatte einer meiner nigerianischen Landsleute eine ähnliche Tat vollbracht. Der 31-jährige John Oga stellte einen bewaffneten Räuber vor einem Supermarkt in Rom, entwaffnete ihn und hielt ihn auf, bis die Polizei kam. Weil er keine Aufenthaltsgenehmigung hatte, bürgerte ihn Italien ein, der Papst taufte ihn katholisch.

Ihre Taten waren bravourös und heldenhaft - ganz sicherlich. Doch so sehr die Menschen das auch hierzulande dieser Tage huldigen, dürfen sie nicht vergessen, dass es unter den Zuwanderern in Europa unzählige unbesungene Helden gibt. Auch Deutschland hat jetzt schon Tausende Helden. Menschen die Verfolgung und Flucht überstanden haben. Aber niemand sieht in ihnen Helden. Die westliche Welt scheint daran nicht so interessiert. Weil Menschen, die aus Schlauchbooten kommen, als Bittsteller gesehen werden, nicht als Kriegsveteranen.

Sie haben keine besonderen Fähigkeiten, im Klettern, Boxen oder Kung-Fu. Sie würden es wahrscheinlich nicht fertigbringen, den Pariser Balkon zu erklimmen und hätten es gegen einen Bewaffneten schwer. Viele derer, die nach Deutschland kamen, sind trotzdem auf ihre Art Helden. Menschen, die sich hier integriert haben, still und leise. Menschen, die auf Fahrrädern durch München fahren und den Stadtbewohnern in großen Würfeln Essen liefern. Menschen, die in den Hinterzimmern der Restaurants Teller spülen. Und die in Supermärkten Regale einräumen. Über sie spricht so gut wie niemand. Dabei sind sie die stillen Helden, die dazu beitragen, dass das Zusammenleben in Deutschland funktioniert.

In Teilen Afrikas sagt man: Über einen mutigen Jäger, der einen Elefanten mit einem Schlag tötet, spricht man einen ganzen Tag lang, aber nicht länger. Die Frage ist, ob es gerecht ist, dass ein Mensch wegen einer besonderen Tat einen solchen Vorzug erhält. Für mich, der ich selbst geflüchtet bin und meine Aufenthaltsgenehmigung nach einem zwei Jahre langen Prozedere erhalten habe, ist das keine ganz einfache Frage.

In meinem Umfeld, wo viele Geflüchtete leben, gibt es viele, die sich beklagen, ihre Geschichte sei bei den Befragungen der Behörden nie wirklich angekommen. Wegen der Sprachbarriere, weil es keinen guten Übersetzer gab. Oder weil die Dinge anders ausgelegt wurden, als es jemand erhofft hat. Wer so ein langes Verfahren hinter sich hat - ob positiv oder negativ -, für den ist das Schnellverfahren des Spider-Mans von Paris sicherlich nicht ganz einfach zu ertragen.

Für mich stellt sich vor allem die Frage, welche Botschaft so eine Entscheidung sendet. Sie birgt die potenzielle Gefahr, dass Menschen in ihrer Verzweiflung - zum Beispiel aus Angst vor Abschiebung - Rettungstaten selbst inszenieren. Diesen Schluss könnte ziehen, wer die Signale aus Paris und Rom falsch versteht.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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