Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Verbannung aus dem Höllenloch

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Autofahrer kann gerade keiner leiden, schon klar. Doch der schlimmste Affront, den sie zu verkraften haben, ist die Sperrung der Laimer Unterführung

Kolumne von Wolfgang Görl

Es ist selbstverständlich aller Ehren wert, dass sich die Stadt seit Monaten bemüht, möglichst alle Straßen mittels Baustellen mehr oder weniger unpassierbar zu machen. Auf elegante Weise wird den Autofahrern damit signalisiert, dass sie mit ihren mobilen Klimakillern in der Stadt nichts verloren haben, und wer die Botschaft nicht kapiert, wird mit stundenlangem Im-Stau-Stehen vor einer als Baustelle getarnten Barriere bestraft. Altstadttunnel, Romanplatz, Sendlinger-Tor-Platz und so weiter - überall hat man effiziente Staufallen aufgestellt, in denen die darin gefangenen Automobilisten mit ansehen müssen, wie ihnen Fußgänger und vorbeiflitzende Radler eine lange Nase zeigen. Das ist hart, aber noch härter ist, dass man den Gefangenen nicht einmal Notfall-Toiletten am Straßenrand zur Verfügung stellt.

Der schlimmste Affront, den Münchens Autofahrer zu verkraften haben, ist jedoch die Sperrung der Laimer Unterführung. Diese zu passieren, war ein Riesenspaß, allein schon wegen der Sattelschlepper, die in der Röhre festklemmten und den Nachfolgenden die Gelegenheit boten, unterschiedliche Befreiungstechniken zu studieren. Das Aufregendste aber war die Fahrt durch das verrußte Gewölbe, bei der man den Eindruck hatte, in ein mittelalterliches Verlies geraten zu sein, an dessen Ende Skelette längst vergessener Gefangener liegen. Etwa in der Mitte des Höllenlochs flatterten immer Tauben um einen Haufen Körner, die wohl der Teufel selbst hier ausgestreut hatte. Unheimlich auch der Anblick der Menschen, die auf dem schmalen Tunnelgehsteig entlang gingen und im Abgasnebel aussahen wie Wesen aus dem Schattenreich. Man beäugte das alles mit demselben wohligen Schauer, den die Schreckgestalten einer Geisterbahn hervorrufen.

Alles in allem glich die Fahrt durchs Laimer Loch einem Besuch in der Unterwelt. Danach war der Mensch gestählt für den Rest des Tages. Das ist vorerst vorbei. Ortskundige Freunde des Grauens fahren jetzt zur Paul-Heyse-Unterführung.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2019
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