Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Nur das Beste für Spiderman

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Wenn man nicht vor die Tür darf, kann einem in der Stadt ein Eichhörnchen zum besten Freund werden - oder auch nicht

Glosse von Laura Kaufmann

Pandemiezeiten sind eintönige Zeiten. Jede Abwechslung im Alltag wird gefeiert wie ein kleiner Geburtstag. Spiderman ist so eine Abwechslung. Spiderman ist ein wagemutiges Eichhörnchen, das flink die sechs Stockwerke an der Hauswand im Hof hoch und wieder hinunter klettert. Mal schaut er bei den Mülltonnen, ob er etwas findet, immer stoppt er bei dem mit Pflanzen überladenen Fensterbrett gegenüber. Wahrscheinlich legen ihm die Mieter dort Nüsse hin.

Selbstverständlich liegt seit Spidermans Auftauchen nun auch auf diesem Fensterbrett eine Auswahl feinster Macadamia und Cashews. Nur das Beste für Spiderman. Mit auf dem Fensterbrett liegen Hoffnungen auf eine menschlich-tierische Freundschaft, die durch die Pandemie trägt. Ein fröhlich Bio-Nüsse knabberndes Knopfaugengesicht, das seine zierliche Pfote nach dem Festmahl dankend auf das Fenster legt, der Mensch dahinter ebenso. Hygienekonformes Abklatschen. Eines Tages würde vielleicht das Fenster offen stehen, seine herzwärmende Niedlichkeit macht den kühlen Winterwind vergessen. Spiderman, der mümmelnde Freund, frisst sein täglich Nuss fortan aus der Hand. Imaginäre Herzchen steigen auf und zerplatzen in der rosa Abenddämmerung. Happy End.

Leider interessiert sich das Eichhörnchen keine Spur für andere Fenster zum Hof. Ein Eichhörnchenmännchen kann eine paarungswillige Dame über eineinhalb Kilometer Entfernung riechen. Die Verschmähung der exquisiten Nussauswahl auf der anderen Seite des Hofes, ein paar Meter weiter, fühlt sich da wie ein absichtlich ausgeschlagenes Freundschaftsangebot an.

Aber in eintönigen Pandemiezeiten muss man sich Befindlichkeiten leisten können. Turnt Spiderman die Hauswand entlang, wird nach wie vor euphorisch durch die Wohnung gerufen. Mit einem Stich im Herz, aber euphorisch. Spiderman wird kein bester Freund. Er ist der Star, den man aus der Ferne bewundert. Aber Stars sind schließlich seit je her ein gutes Mittel, um den Alltag eine Weile auszublenden.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2020
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