Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Eine Wunderwaffel für die Welt

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Die Eisindustrie hat offenbar erkannt, dass sie in Zeiten der Klimakrise Verantwortung übernehmen muss

Kolumne von Max Ferstl

Dem eigenen Bauchgefühl ist manchmal nicht zu trauen. Man bildet sich zum Beispiel ein, dass die Münchner S-Bahn nie pünktlich komme, dabei zeigt die Statistik: Sie fährt in 94 Prozent der Fälle exakt so wie geplant. Oder man hegt den Verdacht, die Bierpreise auf dem Oktoberfest seien mindestens eine Frechheit. Dabei sind sie angesichts der ortsüblichen Vergleichsbiere angemessen. Zumindest beim Problem der Erderwärmung schienen Bauchgefühl und wissenschaftliche Wirklichkeit bislang deckungsgleich zu sein. Dass viel zu wenig passiere, glaubt inzwischen nicht mehr nur der Bauch, sondern auch die CSU, die gerade ein Klimakonzept entwickelt hat. In Zukunft will sie radikal auf energiesparende Küchengeräte setzen.

Nun zeigt allerdings eine Erhebung der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK), dass es um den Klimaschutz viel besser bestellt ist als gedacht. Zwar schmelzen in der Antarktis jährlich 252 Milliarden Tonnen Eis. Gleichzeitig wächst laut IHK aber die Zahl der Eisdielen in Oberbayern dramatisch. Gab es vor 20 Jahren nur 303 Eisdielen, wurden jetzt 390 gezählt, ein Zuwachs von fast 30 Prozent. Die Eisindustrie hat offenbar erkannt, dass sie Verantwortung übernehmen muss. Ihr Plan: Wenn das Eis an den Polen schmilzt, muss es eben in Oberbayern nachproduziert werden, damit die Erde nicht zu heiß läuft. Vorreiter beim sogenannten Klimacooling ist die Stadt München mit 81 Eisdielen, gefolgt vom Landkreis Rosenheim (31).

Noch fehlen zwar belastbare Daten zur Effektivität der Eisdielenoffensive - der jüngste Temperatursturz in Bayern dürfte jedoch kaum Zufall gewesen sein. Besonders erfreulich dabei: Klimacooling interessiert nicht nur junge Menschen. "Die Altersspanne der Eisdielenbetreiber ist insgesamt sehr groß und reicht von 18 bis 81 Jahre", zu diesem bahnbrechenden Ergebnis ist die IHK-Studie ebenfalls gekommen. Es gibt also einen breiten, generationenübergreifenden Konsens.

Trotz der großen Erfolge bleiben Risiken: Ob die Erde tatsächlich nachhaltig abkühlt, hängt vom Verhalten der Konsumenten ab. Sie könnten aus Versehen das Eis vernichten. Vor allem wenn sie ihrem Bauchgefühl vertrauen.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2019
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