Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Die iVögel von der Rosenstraße

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Wieder einmal warten Menschen vor dem Apple Store auf ein neues Handy, das sich vom alten kaum unterscheidet. Warum? Um am digitalen Lagerfeuer zu sitzen

Von philipp crone

Es wäre einfach, die derzeitige Szenerie an der Rosenstraße 1 so zu bewerten wie die meisten Passanten. Sie schütteln den Kopf, tippen sich mit dem Zeigefinger an die Stirn oder beides. Wer zuletzt am Münchner Apple-Geschäft vorbeigeschlendert ist, sah dort eine stetig wachsende Zahl von Menschen, die einfach nur warteten. Der erste kam am Sonntag, am Mittwoch waren es bereits 50, die sich brav in eine Schlange einreihten und auf den Freitagmorgen warteten. Denn dann wird das neue Telefon des US-Unternehmens an gleicher Stelle verkauft. Es trägt die Bezeichnung iPhone 6S und unterscheidet sich optisch überhaupt nicht von seinem Vorgängermodell, außer einem S auf der Rückseite. "Gibt's da was umsonst?", fragen Passanten. Nein. Also haben die doch nicht mehr alle. Aber, und das erzählen die Wartenden bei jedem neuen Modell dieses Telefons: Es geht ihnen nicht nur darum, die ersten zu sein. Sondern?

Die jungen Leute in ihren Campingstühlen, die sich nachts auf den Steinplatten der Fußgängerzone in ihre Edel-Outdoor-Schlafsäcke kuscheln und noch einen letzten Gute-Nacht-vom-Apple-Store-Post in die Dunkelheit schicken, genießen die Gemeinsamkeit. Sie versammeln sich um eine Art digitales Lagerfeuer, das Tage dauert, und an dem man sich einfach an der Begeisterung und Euphorie der anderen wärmt. Häuptling bei diesen zusammengewürfelten Nerd-Stämmen ist natürlich der erste, der ankommt. Oder auch der Warte-Veteran, der davon erzählen kann, wie er damals bereits für das allererste iPhone ausharrte und dem Jungvolk erklärt, wo man sich wann waschen kann, etwas zu essen bekommt und sein Telefon aufladen kann. Und dann ist da noch der Zookäfig-Effekt. Wie es die Leute genießen, wenn sie zur abendlichen Rushhour von den Passanten angestarrt werden, als seien sie eine unbekannte schrille Vogelart.

Sind sie ja auch, schräge iVögel. Die zum Leben nicht Mass und Hendl oder Luft und Liebe brauchen, sondern nur Akku und Wlan.

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Quelle:
SZ vom 25.09.2015
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