Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Die Drücker kommen

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Bussi-Bussi war einmal, heute ist die Begrüßungsbandbreite in München so groß, wie sie wohl noch nie war. Und für das einzige, das fehlt, gibt es wohl auch bald eine Lösung

Glosse von Philipp Crone

Abstand hat viele Vorteile. Das sieht man derzeit auf sämtlichen überlaufenen Spazierwegen der Stadt. Die Begrüßungsbandbreite ist so groß, wie sie wohl noch nie war. Von der guten alten herzlichen Umarmung derer, die es ganz offensichtlich ohne nicht mehr aushalten, bis zum routiniert vorsichtig gehauchten "Superservus" aus drei Metern Entfernung ist alles dabei. Aber meistens: Winken, Ellbogencheck. Keine Umarmungen, das bedeutet auch: keine Missverständnisse. War das zu fest oder zu lang für eine freundschaftliche Umarmung. Zu flüchtig, obwohl wir uns doch so mögen? Ganz zu schweigen von den Münchner Küsschen-Komplikationen. Bussibussi mit Lippen oder ohne? Und dann hat man wieder Bartöl oder Lippenstift auf der Backe. Dann lieber ohne. Fast ein Jahr keine Umarmungen - ein Steilpass für App-Entwickler.

Huggster heißt nun die digitale Schöpfung, die nach Geldgebern sucht. Man kann sich damit Umarmungen schicken. Hugg ist die Umarmung, und die wird von den jeweils zu benennenden Huggies durchgeführt, also von Menschen, die aus gesundheitlichen und geografischen Gründen dazu in der Lage und autorisiert sind. Manchmal sagt eine Umarmung ja mehr als Tausend Worte, vielleicht sogar mehr als Zehntausend digitale Worte. Die Entwickler haben sich einen nahezu perfekten Zeitpunkt für den Start ihres Programms ausgesucht, September dieses Jahres. Dann also, wenn viele hoffen, dass man vielleicht die meisten ohnehin wieder umarmen darf.

Wie so eine Umarmung wohl läuft? Da schickt der Zwei-Meter-Enkel seiner schmächtigen Oma eine Umarmung ins Heim, so dass Papa, der Überbringer, sich beim Umarmen auf die Zehenspitzen stellen muss. Vielleicht kann man ja auch Berührungen von getrennt lebenden Haustieren schicken, inklusive Gesichtsschleck vom weit entfernten Dackel. Oder aber die App wird ins Gegenteil verkehrt. Dann schickt am Ende der Löwen-Fan dem Bayern-Ultra per Hooligan-Huggie einen vergifteten Gruß.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2021
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