Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Baby-Bäume mit großer Zukunft

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Jedes Neugeborene soll nach dem Willen eines CSU-Stadtrates künftig einen Setzling von einem Baum erhalten. Ob es nun konsequent weitergeht und Babys künftig auch bezahlbaren Wohnraum zur Geburt erhalten?

Kolumne Von Julian Hans

Der Wahlkampf hat noch gar nicht begonnen, da legt die frisch ergrünte CSU im Stadtrat vor: "Einen Baum für jedes Baby" soll die Landeshauptstadt künftig für jedes in einer Münchner Klinik geborene Kind stiften. Bäume seien schließlich nicht nur gut fürs Klima, sie hätten auch große Symbolkraft, heißt es in dem Antrag der Stadträte Frieder Vogelsgesang und Sebastian Schall. Dass jeder Mann im Leben einen Baum pflanzen solle, gelte "in Zeiten der Gleichberechtigung auch für Frauen".

Diese Aufgabe soll die Stadt ihren Bürgern nach dem Willen der Antragsteller zwar nicht abnehmen, aber erleichtern, indem sie jedem Kind zur Geburt einen Gutschein schenkt, den die Eltern oder der ein wenig herangewachsene Mensch selbst später bei den Stadtgütern gegen einen Setzling eintauschen kann. Hier fängt das Problem allerdings erst an. Denn dass München trotz der nach Schätzungen etwa drei Millionen Bäume auf städtischen Grünflächen heute kein dicht bewaldeter Lustgarten ist, liegt nicht an einem Mangel an Setzlingen. Häuser, Straßen, Einkaufszentren und Parkplätze haben schlicht den meisten Raum besetzt, auf dem Bäume wachsen könnten. Diverse Initiativen von Bezirksausschüssen und Stadträten, den durch die Verdichtung bedingten Baumschwund zu stoppen, sind allesamt irgendwann buchstäblich auf Granit gestoßen. Die etwa 17 500 Kinder, die pro Jahr in München geboren werden, müssten also entweder auf den verbliebenen Grünstreifen Guerilla-Gardening betreiben, Bonsais im Kinderzimmer halten, oder ihren Setzling mitnehmen, wenn sie irgendwann dort hinziehen, wo sie sich eine Wohnung leisten können, also aufs Land zum Beispiel oder nach Thüringen.

Womit wir wieder bei der alten Weisheit wären, von der sich die Stadträte nach eigenem Bekunden zu ihrem Vorschlag inspirieren ließen. Denn die geht ja noch weiter: Jeder Mensch sollte im Leben nicht nur einen Baum pflanzen, sondern auch ein Haus bauen. Wenn die Stadt jedem Neugeborenen wenn nicht gleich ein Haus, so doch wenigstens eine bezahlbare Wohnung in Aussicht stellen könnte, das wäre was! Nur bei der dritten großen Lebensaufgabe sollte sich die Stadt besser raushalten. Kinder zeugt dann doch am besten jeder selber.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2019
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