Süddeutsche Zeitung

Theater:Rund um die Schlachtplatte

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Wer ist das wahre Schwein? Schauburg und Kammerspiele beleuchten in dem Stück "Pigs" das Verhältnis zwischen Mensch und Tier - und machen die Zuschauer dabei zu (An-)Teilnehmenden.

Von Barbara Hordych

Ein wenig Stallgeruch stellt sich beim Betreten der interaktiven Installation "Pigs" in der Therese-Giehse-Halle schon ein: Gemeinsam mit 29 weiteren Zuschauern und Zuschauerinnen nimmt man auf den Drehstühlen Platz, die an einem kreisrunden Tisch um ein Bühnenoval herum angeordnet sind. Jeder Platz ist mit einem grauen Gatter vom anderen getrennt. Fühlt sich so ein Schwein? Vermutlich nicht. Denn hier herrscht zumindest komfortable Beinfreiheit, ist in jeder Box ein - noch ausgeschalteter - Monitor angebracht, dazu liegen eine ledergebundene Menükarte, Notizzettel und Bleistifte parat.

Wie aber ein Schwein sich fühlen könnte, dem spüren die beiden Schauspieler André Benndorf und Martin Weigel in der Bühnenmitte mit beeindruckendem Körpereinsatz nach. Bekleidet mit blutrot besprenkelten Metzgeruniformen stellen sie den Weg eines Schweins zur Schlachtung nach. Dafür muss der eine, Benndorf, sich ausziehen bis auf die beige Unterhose, während der andere, Weigel, die Rolle des Schlachters übernimmt. Er beruhigt das künftige Schnitzel mit Musik, animiert es zum bergauf gehen ("das machen Schweine sehr gerne"), betäubt es mit einer Tüte über dem Kopf. Wenn es dann an den Fleischerhaken kommt, wirft sich Weigel seinen Kollegen über die Schulter. Und fragt: "Meinst du, die Schweine sind böse auf uns, weil wir die Welt nicht retten?"

Die Selbstbefragung der Zuschauer ist Teil des Konzepts

Damit wäre schon einmal eine, wenn nicht sogar die Kernfrage des Stücks von Regisseurin Miriam Tscholl benannt. In den nächsten eineinhalb Stunden wird hier aus vielen verschiedenen Perspektiven das Thema Schwein beleuchtet: Tierhaltung, Fleischverzehr, Klimaerwärmung - und wie das alles mit allem zusammenhängt. Bei der Premiere am Sonntagabend agieren die beiden Kammerspiele-Schauspieler, am darauffolgenden Abend werden ihre Rollen von den Schauburg-Darstellern Simone Oswald und Hardy Punzel übernommen. Es ist die erste Kooperation dieser Art zwischen den beiden städtischen Bühnen. "Wir haben ja eine Schnittstelle; etwa mit 14 Jahren können die Schauburg-Besucher und Besucherinnen zu uns überwechseln. Deshalb haben wir dieses Projekt entwickelt und der Schauburg vorgeschlagen - die haben anders als wir auch die Vermittlungskompetenz für Schulen", hatte Intendantin Barbara Mundel noch kurz vor Vorstellungsbeginn erklärt.

Das Verhältnis von Mensch und Tier, respektive Schwein, kommt auf vielerlei Weise zur Sprache. Nicht nur in den kurzen Szenen der beiden Schauspieler, die räsonieren: "Schweine können keine Opern komponieren und nicht über Abwesendes kommunizieren, das kann nur der Mensch!" Sondern auch unter den Zuschauern, die hier zu Teilnehmern werden. In mehreren Runden sind sie aufgefordert, sich erst Experten-Positionen auf den Monitoren anzuhören, um dann den Platz zu wechseln. Und sich anschließend gegenseitig Fragen zu stellen. Inspirationen finden sich in den eingangs erwähnten Menükarten. Wie riecht Fleisch? Ist Metzger für dich ein ehrenwerter Beruf? Wann hast du bei dir selbst Doppelmoral festgestellt?

Die Positionen der Monitor-Experten sind erwartbar bis eigenwillig oder überraschend: Da erläutert die Agrarpolitikerin den Zusammenhang zwischen den 55 Millionen Schweinen, die jedes Jahr in Deutschland geschlachtet werden, und dem Futtermittelanbau in Südamerika, für den Flächen in der Größe von Bayern gerodet werden. Die vegane Journalistin verrät, dass sie im Wald gerne Hochsitze umsägen geht. Der Münchner Herzchirurg Bruno Reichart spricht über die Verwendung von Schweineorganen zur Ausbesserung von menschlichen Herzklappen. Und ein Metzgermeister aus der Region Dachau, der sich selbst als "Tierliebhaber" bezeichnet, überrascht mit der Forderung: Esst weniger Fleisch! Denn wenn "weniger und wertiger" gegessen werde, sei auch eine angemessenere Tierhaltung möglich.

Am Ende fühlt man sich tatsächlich etwas überfüttert. Aber auch angespornt. Denn was unterscheidet Mensch und Schwein? Die Fähigkeit, "Visionen zu haben", wie Weigel sagt. Darunter auch die von einer besseren Welt.

Pigs, Kammerspiele - Therese-Giehse-Halle, Termine unter www.muenchner-kammerspiele.de

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