Süddeutsche Zeitung

Bürgerbeteiligung:Engagiert für Bäume und Bänke

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Seit fast 50 Jahren tritt der Verein Urbanes Wohnen nicht nur dafür ein, mehr Grün und eine bessere Aufenthaltsqualität in den Vierteln zu schaffen. Die Ideen von Anwohnern zur Neugestaltung von Plätzen und Wegverbindungen in ihrer Nachbarschaft haben durchaus Erfolg.

Von Ilona Gerdom

Christian Vogel ist vorbereitet. Er hat stapelweise Unterlagen dabei. Da sind gebundene Hefte, Karten und auch ein Banner, auf dem steht: "Für besseres Wohnen in der Stadt". Zwar ist der 72-Jährige Rentner, doch als Architekt und Stadtplaner ist er für den Verein "Urbanes Wohnen" weiterhin tatkräftig im Einsatz. Zu tun gibt es genug, die Gruppe ist nämlich in ganz München unterwegs - und findet an jeder Ecke neue Projekte.

Am Kriegerdenkmal auf einer kleinen, neu gestalteten Dreiecksfläche zwischen Loth-, Georgen- und Winzererstraße wartet Vogel mit einigen anderen Vereinsmitgliedern. Alle haben viel zu erzählen. Zunächst von diesem Plätzchen, das an der Grenze zur Maxvorstadt in Schwabing West liegt und bisher noch keinen Namen hat. Inoffiziell, wie Vereinsmitglied Barbara Weschke-Scheer sagt, spreche man aber oft vom "Kirschblütenplatz".

Der Verein will ein "urbanes Naturnetz" schaffen

Dass hier Bänke und Bäume stehen, ist einer der jüngeren Erfolge der Natur-Kultur-Werkstatt des Vereins. Zu ihr gehören die heute Anwesenden. Sie wollen zum Beispiel ein "urbanes Naturnetz" etablieren. Übergeordnetes Ziel ist, mit Hilfe der Bürgerinnen und Bürger sowie der Lokalpolitik Parkanlagen zu verbinden. Ausgangspunkt dafür ist die "Grüne Achse Schwabing": So nennt der Verein seit 2007 die innerstädtische Verbindung vom Englischen Garten zum Olympiapark. Daran orientieren sich die Ideen der Gruppe. Mit zum Verein gehört außerdem ein Team, das sich um grüne Schul- und Spielhöfe bemüht. Dazu kommt noch die Wohnwerkstatt, die sich für nachbarschaftliches Wohnen einsetzt.

Aber zurück zur Naturwerkstatt und dem namenlosen Ort. Vogel steht in der Mitte der Fläche, erinnert sich an eine Fahrradtour zusammen mit Mitgliedern des Bezirksausschusses 4. Der Architekt zeigt auf die andere Seite der Lothstraße: "Da drüben sind wir stehen geblieben." Damals habe man sich gefragt, ob es "nicht Sinn machen würde, den Platz mit Bäumen zu bepflanzen". Acht Jahre ist das jetzt her.

Vogel kramt in seinen Unterlagen, zieht eine Skizze hervor. Sie ist noch älter. Der Architekt Manfred Drum hat den Plan 2005 gezeichnet. 1973 hatte er den Verein gegründet. 2021 ist er verstorben. Doch längst nicht vergessen. Im Gegenteil, die Vereinsmitglieder halten ihn ehrfürchtig in Erinnerung. Rolf Mantler faltet zum Beispiel die Hände, atmet schwer aus: Drum sei "über lange Zeit die Seele des Vereins gewesen". Für seine Ziele setzt sich der Verein weiter ein.

Das zeigt auch der Stapel Flyer, den man von Vogel in die Hand gedrückt bekommt. Die letzte Seite der Broschüren sieht meist gleich aus. Da steht zum Beispiel: "Sind Sie für eine Begrünung der Klarastraße mit Grünstreifen und Baumpflanzung?" Antwortmöglichkeiten: Ja oder Nein.

Wer setzt da sein Kreuz? Es sind in der Regel Anwohnende. Denn ein Grundsatz des Vereins war und ist: "Bürger gestalten ihre Stadt". Ziel ist "die Beteiligung der Menschen an der Gestaltung ihrer Umgebung, Nachbarschaft, Wohn- und Lebenswelt für alle Generationen". Über die Jahre hat die Gruppe dafür eine Taktik entwickelt. Es beginnt meist ähnlich. Einer wie Mantler, der sich als "ewigen Radler" bezeichnet, tut einen Ort auf. Er erklärt: "Ich fahr halt endlos durch die Stadt. Da fällt einiges auf."

Aus den Ideen entstehen professionelle Pläne

Ist nun also eine "Fehlstelle", wie es Vogel nennt, gefunden, macht sich der Verein Gedanken, wie man für mehr Grün, bessere Aufenthaltsqualität oder andere Wegeverbindungen sorgen kann. Die Ideen werden in Form professioneller Pläne visualisiert, dann organisiert die Gruppe eigene "Bürgerversammlungen". Dort können Interessierte abstimmen. Die Ergebnisse landen als Anträge beim zuständigen Bezirksausschuss und gehen von dort oft weiter ins Baureferat, das sie prüft und gegebenenfalls umsetzt.

Manchmal arbeitet der Verein auch mit anderen zusammen. Gemeinsam mit der Initiative "Bennoviertel", von der Weschke-Scheer kommt, will der Verein zum Beispiel den Platz vor der Benno-Kirche umgestalten. Aktuell sei das eine "Parkplatzwüste", findet Vogel. Eine Alternative könnten weniger Straßenraum, mehr Grün und eine Wasserfläche sein. Zusammen hoffe man, "mehr Gewicht zu haben", formuliert Weschke-Scheer.

Im kommenden Jahr wird der Verein 50 Jahre alt. Aber Sorgen, dass es nichts mehr zu tun gibt, hat hier niemand. Denn, so stellt Vogel fest, "die Aufgaben stellen wir uns immer wieder selber". So lange man mit "offenen Augen" durch die Stadt gehe, finde man auch neue Projekte. "So wie hier", sagt er und deutet auf den namenlosen Platz. Ein anderer nickt zustimmend und ergänzt: "Wie sich die Stadt wandelt, so wandelt sich unsere Zuständigkeit."

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