Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Urlaub in München:Anfänge des Antriebs

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Im Verkehrszentrum des Deutschen Museums kommen Abenteuerromantiker und Technikfans auf ihre Kosten - immer wieder lässt sich dort auch so manche Überraschung entdecken.

Von Andreas Schubert

Einer der lustigsten Filme der Sechzigerjahre ist die völlig durchgeknallte Komödie "The Great Race" von Blake Edwards. Darin liefern sich ein paar Abenteurer ein wahnwitziges Rennen rund um die Welt, und zwischendurch die größte Tortenschlacht der Filmgeschichte. Vorbild für den Film war eine verrückte Autorallye, die von New York aus quer durch Amerika und Russland nach Paris führte. 1908 war das. Chef des deutschen Teams war Oberleutnant Hans Koeppen, der zwar als erster das Ziel erreichte, dem aber der Sieg aberkannt wurde, weil er sein Auto für einen Teil der Strecke in einen Zug packte. So spaßig wie bei Blake Edwards ging es auf der echten Wettfahrt nicht zu; die Männer mussten sich durch Schnee und Eis kämpfen in einer Zeit, in der es kaum vernünftige Straßen gab, geschweige denn Tankstellen. Das Auto vom Berliner Hersteller "Protos", gibt es noch heute, zu sehen ist es im Verkehrszentrum des Deutschen Museums auf der Theresienhöhe. Und unter den rund 800 Exponaten des Museums gehört der Protos zu den Lieblingsstücken von Bettina Gundler. Was das "Storytelling" angehe, sagt die Leiterin des Verkehrszentrums, sei der Protos ihr Favorit.

Schön ist das dunkelgrüne Ungetüm in Halle III nicht gerade. Aber für Bettina Gundler steht das Fahrzeug exemplarisch für den Siegeszug des Autos. Weil unter anderem die New York Times, Le Matin und die Berliner Zeitung ausführlich von dem Rennen berichteten, waren die Menschen von der Robustheit und Zuverlässigkeit von Autos mit Verbrennungsmotoren überzeugt - zumindest diejenigen, die sich damals eines leisten konnten. "Das war eine riesige Werbekampagne", sagt Gundler.

Geschichte und Geschichten gehören zum Wesen eines Museums. Und im Verkehrszentrum geht es nicht nur um alte Autos, Züge oder U-Bahnen, sondern um die Mobilität an sich. Das Museum versucht einen weiten Bogen zu spannen, der alle möglichen Arten von Mobilität und deren Entwicklung umfasst - vom Ski bis hin zum Mercedes mit Wasserstoffantrieb. Und in Zukunft will sich das Museum unter anderem verstärkt den Themen Klimawandel, autonomes Fahren und Elektromobilität widmen, teils mit Originalexponaten, teils mit Simulationen.

Aktuell gilt auch im Verkehrszentrum, dass Besucher wegen der Corona-Schutzmaßnahmen vorab Online-Tickets kaufen müssen. Sind mehr als 400 Menschen gleichzeitig in den weitläufigen Hallen, lassen die Pförtner vorübergehend niemanden mehr hinein. "Aber das hatten wir bis jetzt noch nicht", sagt Gundler. Auch wenn etwas mehr los ist, können sich die Besucher in den Hallen ganz gut aus dem Weg gehen. An engen Stellen gelten Einbahn-Regeln, die mit Pfeilen auf dem Boden gekennzeichnet sind. Und der sonst recht belebte Kinderbereich ist aus Sicherheitsgründen gesperrt.

Seit diesem Jahr können die Besucher das Museum mit einem Audio-Guide erkunden. "Das ist gut, weil wir im Moment keine Führungen anbieten", sagt Gundler. Ganz neu im Verkehrszentrum ist die "Gläserne Werkstatt" in Halle I. Dort richten die Mitarbeiter des Museums alte Vehikel und Geräte für die Ausstellung her, während Besucher ihnen durch die Glasscheibe zusehen können. Das jüngste Restaurationsobjekt ist ein alter Lanz-Bulldog aus dem Jahr 1921, der demnächst zur Museumsinsel gebracht und dann in der Ausstellung "Landwirtschaft und Ernährung" zu sehen sein wird. Irgendwann wird es wohl auch wieder den Tag der offenen Werkstätten geben, bei dem die Restauratoren den Besuchern ihre Arbeit live und ganz ohne Glasscheibe präsentieren können.

Doch auch so lohnt sich ein Besuch im Verkehrszentrum, in dem sich immer wieder so manche Überraschung entdecken lässt - sei es ein mit Brennstoffzelle betriebener Fahrradanhänger, der das Rad von hinten anschiebt und tatsächlich bei der italienischen Post im Einsatz war, sei es ein Elektroauto, das kaum größer ist als eine Badewanne. Letzteres, der "Slaby-Beringer Elektrowagen" stammt aus den Zwanzigerjahren, hatte eine Reichweite von 60 Kilometern und wurde vor allem in Japan gefahren. Nachdem ein Tsunami eine größere Lieferung der frühen E-Autos zerstörte, ging der Berliner Hersteller 1924 pleite. Wäre es anders gekommen, hätte sich die immer noch nicht ausgereifte Elektromobilität vielleicht schon früher entwickelt und wäre heute weiter - trotz des durch das "Great Race" befeuerten Erfolgs von Abgasschleudern.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2020
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