Süddeutsche Zeitung

Open-Air-Festival:Das Tollwood startet in den Sommer - was geboten ist

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Nach einem Jahr Corona-Pause ist das Festival zurück: kleiner, ohne Zelte und mit Not-Programm. Aber dafür fast doppelt so lang und engagiert wie immer.

Von Michael Zirnstein, München

Was war zuerst da: Die in Würde beim Info-Container vor sich hin rostenden Schraubenmänner? Oder der blitzende Recycling-Riese auf der Schotterfläche vor der Corona-Teststation? Die Figuren aus Altmetall sind Tollwood-Gästen seit Jahren vertraut, der blitzende "Wertgigant" aus ausgedienten Waschmaschinen, Staubsaugern und Computern hat Premiere hier auf Münchens großem Kulturmarkt. Wobei sein aus Köln angereister Schöpfer, der weltweit agierende Müll-Maestro HA Schult, bei der Präsentation seines neuesten Werkes keinen Zweifel daran lässt, wer dieses Kunstfeld bereitet hat: Schon 1969 stopfte er als aufmüpfiger junger Münchner in einem offiziellen Wettbewerb ein Modell des kommenden Olympiaparks voll mit Müll und sagte: "So zugeschrottet wird die Welt einmal aussehen!" So war dieses Umweltkunstwerk eine Keimzelle des aktivistischen Kulturfestivals Tollwood.

Fast zwei Monate lang wird der Koloss über das Sommerfestival wachen. So lang war Tollwood in seiner 33-jährigen Geschichte noch nie und so klein schon lange nicht mehr. Nur ein Drittel der normalen Fläche im Südteil des Olympiaparks ist von Ständen und Biergärtchen belegt, Zelte gibt es diesmal keine. Ein Zaun riegelt den Markt ab, drinnen muss Maske getragen werden, wer isst oder trinkt, darf sie absetzen, was viele Gäste zu einem mobilen Imbiss beim Budenbummeln verleiten dürfte.

Nur registrierte Getestete, Geimpfte oder Genesene gelangen durch eine Zählschleuse hinein. Wie viele, das wisse man noch nicht, sagt Tollwood-Sprecherin Christiane Stenzel beim Medien-Rundgang: "Wir warten stündlich auf die Höchstbesucherzahl von den Behörden." Nach einem Jahr Corona-Pause passiert gerade alles in letzter Minute, schon am morgigen Donnerstag geht es los, jeden Tag von 15 Uhr bis Mitternacht, an den Wochenenden ab 11 Uhr. Erst vor eine Woche verkündete die Tollwood GmbH, dass man öffnen werde: "Es wird klein, bunt und sicher."

Das normalerweise größte Open-Air Münchens wirkt nun geradezu lauschig. Es ist mehr Luft zwischen den Buden, die Händler gerade mit Seidenschals oder Up-Cycling-Krimskrams bestücken. Es gibt ein Barfußpfad-Labyrinth und eine Ecke mit Outdoor-Spielen wie Wikinger-Schach. Besonders gut kommen nun die Kunstobjekte zur Geltung, von der Solarblume über die Baumstammfamilie bis zum Street-Art-Lattenzaun des Graffiti-Museums Muca. Ludwig Frank hat im Halbschatten einen "Garten der fliegenden Wolken" mit Koi-Karpfen und Steinmobile als Rückzugsort gestaltet. Der Rummel nach der Pandemie ist vielen schon wieder zu groß.

Die großen Popstars wurden samt Musikarena-Achtmastzelt auf 2022 verschoben. Als einziger Konzertort ist das Hacker-Brettl geblieben. Zwei Mal am Tag treten meist regionale Musiker auf, auch namhafte wie die Hip-Hopper Roger Rekless (15. Juli) und Sepalot (23. Juli), Neo-Volksmusikanten wie Loisach Marci (31. Juli) ebenso wie die Weltmusiker (Oimara, 6. August). Statt mit Theater- und Zirkusspektakel die Massen zu überwältigen, beschränkt man sich diesmal auf Corona-konforme Straßenkünstler, immer in Bewegung, "um Traubenbildung zu vermeiden", wie drei zeitreisende Steampunks auf Stelzen, ein ferngesteuert radelnder Elefant namens Jochen oder die maskierten Omas Wilma und Berta mit ihrem "zur Ohnmacht neigenden" Dackelmischling Bellmondo. Der Pantomime Bastian wird sich in seinem Minigarten in einer Plastikkugel ganz von den Viren der Außenwelt abschotten.

Durch Corona sei die Großbaustelle des Planeten fatalerweise in den Schatten gestellt worden, sagt Daniela Schmid, Projektleiterin "Mensch und Umwelt". So will man wieder mit vielen Info- und Aktionsstationen die Besucher dazu bringen, "die Ärmel hochzukrempeln" gegen die Klimakrise unter dem Jahresmotto: "Ich will, weil ich kann, was ich muss." Das ist ganz im alten Kämpfergeist von HA Schult, der sagt: "Kunst ist die letzte Bastion der Freiheit in einer zugeschrotteten Welt." Deswegen hilft er nach seinen Aktionen "Wir, das Tier" und "Trashpeople" nun schon zum dritten Mal Rita Rottenwallner und ihrem Tollwood-Team, "den armen Mäusen", wie er sie nach zwei geplatzten Festivals nennt. Er fühlt sich ihnen verbunden, weil sie "das fortsetzen, was wir in den Sechzigern losgetreten haben".

Das Tollwood Sommerfestival findet von 1. Juli bis 22. August 2021 statt.

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