Süddeutsche Zeitung

Stadtrat im Umbruch:Stets ums Gleichgewicht bemüht

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Zum Ende der Amtsperiode haben sich viele verdiente Köpfe aus dem Rathaus verabschiedet. Helmut Schmid engagierte sich in der SPD seit 1984 vor allem für Wirtschaftspolitik

Von Alfred Dürr

Die SPD-Fraktion im Rathaus ist wegen der Corona-Krise verwaist. Helmut Schmid, 74, ist kein Mitglied des neugewählten Stadtratsgremium mehr, aber er besitzt noch den Schlüssel zu den Räumen. Gleich trifft er sich mit einem Mitarbeiter der Protokollabteilung, um seine Amtskette abzugeben. "Die Kette stammt aus dem Jahr 1914, aber so lange bin ich noch nicht im Stadtrat", lacht er. Immerhin 36 Jahre, also seit 1984 und über sechs Amtsperioden hinweg, gehörte ihm dieses Symbol der engen Verbundenheit von Bürgermeistern und Stadtratsmitgliedern zur Stadt München. Dem neuen Stadtrat gehört Schmid nicht mehr an. Sentimentalität oder gar Wehmut zum Abschied? "Ach, nein, na ja . . ."

Kommunalpolitik, vor allem Wirtschaftsthemen, haben ihn begeistert, sagt er. Seine Funktionen reichten vom Sprecher im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft über den "Wiesn-Stadtrat", der sich im Rathaus speziell um das Oktoberfest kümmert, bis zum langjähriger Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er führte die Gewerkschaft ÖTV und war Münchner Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds.

Als uneitel, bodenständig, humorvoll und als glaubwürdigen Vertreter der SPD bei allem, was mit Tradition und Volkstümlichkeit zu tun hat, beschreiben ihn politische Weggefährten. Für die neue Stadtratsperiode richtet Helmut Schmid eher mahnende Worte vor allem an die eigene Fraktion. Wirtschaftspolitik dürfe nicht in den Hintergrund geraten. "Ohne eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es keine gute Sozial- und Kulturpolitik sowie eine erfolgreiche Stadtentwicklung." Die Politik habe also dafür zu sorgen, dass es großen Gewerbesteuerzahlern oder erfolgreichen städtischen Beteiligungsgesellschaften, wie der Messe oder den Stadtwerken, gut gehe, dass weiterhin der Branchenmix stimme, damit die Stadt nicht von einzelnen Wirtschaftszweigen abhängig wird.

"Die Stadt im Gleichgewicht" - so lautete das Motto des Stadtentwicklungsplans aus dem Jahr 1975. Für Helmut Schmid sind die Kernaussagen immer noch gültig: Kein grenzenloses Wachstum um jeden Preis, keine Stadt, die aus den Nähten platzt, sondern eine, in der die Funktionen und Interessen abgestimmt sind auf ein Höchstmaß an Chancengleichheit und Lebensqualität für alle, wie es das städtische Planungsreferat formulierte.

Der gebürtige Neuhauser hat selbst einmal in dieser Behörde gearbeitet. Nach einer kaufmännischen Ausbildung kam Schmid zur Stadt und in verschiedene Dienststellen, darunter auch zur Lokalbaukommission. Dort musste er zum Beispiel dafür sorgen, das die Genehmigungsverfahren für die Bauten der Olympischen Spiele 1972 zügig abgewickelt wurden.

Zu einer Anstellung bei der Stadt habe ihn der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) motiviert, erzählt Schmid. Mit einer Broschüre, die den Titel "Der Zopf ist ab" trug, warb der OB um die Mitarbeit in einer modernen Verwaltung: "Das hat mir imponiert." Schon in seinen ersten Berufsjahren hatte Schmid viel mit Personal-, Finanz- und Organisationsfragen zu tun. Parallel engagierte er sich in der Kommunalpolitik. Als Vorsitzender des Bezirksausschusses setzte er sich mit Themen auseinander, die Bürger in Neuhausen bewegten: der Tunnel unter der Landshuter Allee, der Kaufhof am Rotkreuzplatz, die Hirschgarten-Sanierung, der Bau der U-Bahn zum Westfriedhof.

Als er 1984 in den Stadtrat gewählt wurde, wäre er gerne Mitglied des Kulturausschusses geworden, sagt Schmid. An Kultur habe er immer großes Interesse gehabt, speziell an bayerischer Geschichte, Musik und Brauchtum. Klassische Gedichte faszinierten ihn besonders: "Die habe ich ohne Probleme auswendig gelernt." Wie gut er dabei war, beweist er auf der Stelle. Alle sechs Strophen von Goethes "Der Sänger" sagt er ohne zu Stocken auf. Aber mit der Kulturarbeit im Stadtrat klappte es nicht. Die Fraktionsspitze hatte anderes mit Schmid vor: "Ich sollte mich um Rechts- und Finanzangelegenheiten kümmern."

Für die breite Öffentlichkeit waren darunter sicher ganz schön sperrige Themen, für die Stadt aber hatten sie große Bedeutung. So wurde zum Beispiel Ende der Neunzigerjahre heftig um die Zukunft der Stadtwerke gerungen. Kommunalen Unternehmen drohte die Gefahr, im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Konzernen unter die Räder zu geraten. Um Arbeitsplätze zu sichern und ein gutes Dienstleistungsangebot für die Münchner zu gewährleisten, sollten die Stadtwerke umstrukturiert werden. Schmid setzte sich vor allem dafür ein, dass den Beschäftigten keine Nachteile durch die Umwandlung von einem kommunalen Eigenbetrieb in eine städtische GmbH entstanden. Die Umsetzung der Reform war im Rathaus umstritten, am Anfang gab es große Widerstände bei der Belegschaft. Bei der Maikundgebung musste der DGB-Vorsitzende Schmid Pfiffe und Buhrufe für den Kurs der Stadt einstecken.

Ein anderes Reizthema, für das sich Schmid ebenfalls mit viel Detailarbeit engagierte, war die sogenannte Großstadt-Zulage für Angestellte und Arbeiter. Mit einem monatlichen Sonderbeitrag sollte für städtisches Personal der unteren Einkommensstufen eine gewisse Entlastung im teuren München geschaffen und vor allem auch neues Personal gewonnen werden. Das stieß auf Widerstand in Gewerkschaftsreihen, weil man tarifliche Ausnahmesituationen vermeiden wollte.

Weil ökonomische Themen so eine große Bedeutung für ihn hatten, setzte sich Helmut Schmid für die Schaffung eines eigenen Referats für Arbeit und Wirtschaft ein. Und er erwies sich als Strippenzieher in Personalfragen. Als es darum ging, einen Nachfolger für den ersten Chef dieser Behörde zu finden, schlug Schmid einen Mitarbeiter der Stadtkämmerei namens Dieter Reiter vor. "Wenn du denkst, der ist gut, dann schaue ich ihn mir an", antwortete ihm der damalige Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Reiter machte Karriere und wurde der Nachfolger Udes.

Helmut Schmid schließt die Fraktionstür hinter sich ab, aber er verabschiedet sich nicht von seinen vielen sozialen Verbindungen vor allem in Trudering, wo er seit Jahrzehnten lebt. In 29 Vereinen und Organisationen ist er Mitglied. "Man ist immer ein bisschen beschäftigt", sagt er, auch ohne Amtskette.

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SZ vom 06.05.2020
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