Süddeutsche Zeitung

SZenario:Selfies und Topfenknödel

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Thomas Müller, einer von 202 Ausgezeichneten bei der Sportlerehrung im Alten Rathaus, offenbart Interesse an einer Nischensportart.

Von Julian Meier

Als sich die geladenen Gäste größtenteils schon in den Festsaal begeben haben, joggt ein Nachzügler in Jackett und Sneakers die Treppe des Alten Rathauses nach oben. Wäre der Mann früher angekommen, es wäre wohl laut geworden im Foyer. So aber schafft er es nahezu unbemerkt bis kurz vor den Eingang des Festsaals. Dann allerdings stürzen sich die Reporterteams auf ihn, bevor er für zahlreiche Fotowünsche in die Kameras grinsen muss. "Der macht ein ganzes Fotoalbum voll", sagt er einem Fotografen, der gefühlt schon 25-mal das gleiche Motiv eingefangen hat. Drinnen muss Moderator Markus Othmer mit der Begrüßung deshalb noch warten. Solange, bis es Thomas Müller dann endlich auf seinen Platz geschafft hat.

202 Sportlerinnen und Sportler ehrt die Stadt München am Donnerstagabend für besondere Leistungen im abgelaufenen Jahr. Darunter sind Weltmeister, Europameister, Silbermedaillengewinner bei Olympischen Spielen. Thomas Müller ist gerade mal Deutscher Meister geworden, bei der Weltmeisterschaft in Katar scheiterte er mit der Nationalelf in der Vorrunde. Und trotzdem ist er unbestritten der Star des Abends. "Boah, Thomas Müller kommt", staunt ein junger Mann, als er den Aushang mit den geladenen Gästen liest.

Die Bandbreite ist groß. Und doch haben sie alle etwas gemeinsam: ein sportlich erfolgreiches Jahr hinter sich. Markus Gündl zum Beispiel, 46 Jahre alt, ist zusammen mit fünf weiteren Mitgliedern der Armbrust-Schützen-Gilde "Frundsberger Fähndl" da. Er ist mit der Mannschaft Deutscher Meister geworden. Die Sportlerehrung absolviert er mit großer Routine: Zum siebten Mal in Folge ist Gündl da. Für Nele Wayand, 14 Jahre alt, ist es dagegen die erste Einladung. Sie hat mit der Luftpistole den ersten Platz bei der Deutschen Meisterschaft in der Mannschaftswertung erreicht. "Ich habe ein bisschen Angst... die ganzen Leute hier", sagt sie.

Die Vize-Europameister im Box Lacrosse des HLC Rot-Weiß München sehen die Ehrung dagegen als Gelegenheit, um die anstrengende, aber schöne Zeit Revue passieren zu lassen. Marius Wolter, 33 Jahre alt, war schon mal bei einer ähnlichen Ehrung in Köln. "Da durfte man wenigstens seine Frau mitnehmen", scherzt er und kündigt an, den EM-Erfolg mit seinen Teamkollegen nochmal feiern zu wollen. Die Weingläser halten sie da bereits in der Hand.

"Wir sind die Sportstadt Nummer eins", sagt Bürgermeisterin Verena Dietl

Die Gastgeberin ist jedenfalls stolz auf ihre anwesenden Gäste. "Wir sind die Sportstadt Nummer eins", sagt Bürgermeisterin Verena Dietl, bevor es an die Verleihung der Goldenen Ehrenmedaillen geht - begleitet von lockeren Anekdoten, die Moderator Othmer den Geehrten entlockt. So erfährt man zum Beispiel, dass der Präsident des FC Bayern, Herbert Hainer, als "junger Kerl" alle Olympiasieger im Dressurreiten aufzählen konnte. Oder dass Thomas Müller gerne mal Hammerwerfen ausprobieren möchte. "Auf keinen Fall während der Saison", sagt Hainer. "Außer Skifahren darf man alles", antwortet Müller.

Apropos Müller: Zwei Tage vor dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund verstoße er gegen die klubinterne Regel, 48 Stunden vor einem Spiel keine Medientermine mehr wahrzunehmen, gibt er schelmisch grinsend zu. Die Ehrung sorgt aber immerhin mal für ein wenig Abwechslung in seinem vollen Terminkalender. Aber auch für Entspannung? "Entspannt ist es meistens nicht, wenn viele Leute da sind. Es geht wahrscheinlich schon das eine oder andere Foto über den Ladentisch", sagt er, bereits bevor die ersten Blitzlichter aufflammen. Er sollte Recht behalten. Auch auf dem Weg aus dem Festsaal heraus schafft er keine zwei Meter, ohne einen Selfie-Wunsch erfüllen zu müssen. So viele Bilder mit Thomas Müller wie an diesem Abend entstehen wahrscheinlich in einem 90-minütigen Fußballspiel nicht. Als auch wirklich der letzte Fotowunsch erfüllt ist, joggt Müller die Treppe des Alten Rathauses wieder nach unten. Während die anderen 201 geladenen Gäste Kalbslende und Topfenknödel verspeisen, verschwindet der Star des Abends als Erster. Um nicht noch länger gegen die klubinternen Regeln zu verstoßen.

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